Die Nacht im Stau (German Edition)
darum bestellt? War es Liebe, was sie für ihn empfand? Nein, sagte eine innere Stimme. Wenn sie ganz ehrlich war, fühlte sie sich vor allem dadurch geehrt, später einmal eine Frau Mertens zu werden, Dieters Frau. Dieser Mann, so erschien es ihr, war eine gute Partie. Aber Liebe konnte ja wachsen, das hatte sie schon einmal mit Robert erlebt.
Aber dann gab es da noch ein anderes Problem: So sehr sie Dieters Reife schätzte, so sehr verunsicherte sie der große Altersunterschied zwischen ihnen. Wenn sie dreißig wäre, wäre er fünfundvierzig, fast schon ein alter Mann. Viele Hobbies würden vielleicht aus Altersgründen flach fallen. Schon jetzt gingen ihre Interessen auseinander, wie sich im Gespräch heraus stellte. Sie ging für ihr Leben gern Schwimmen – er war Nichtschwimmer. Sie fuhr gern Ski – er war noch nie auf Skiern gestanden. Überhaupt war er Sport gegenüber eher abgeneigt, ganz im Gegensatz zu ihr.
Und dann diese Schrulligkeiten. Am Morgen hatte er gesagt, er wolle später einmal nur weiße Bettwäsche haben, keine bunte, wie im Gasthof.
„Warum?“, hatte sie ihn konsterniert gefragt. „Die Bunte ist doch viel fröhlicher!“
„Ja, aber b ei der farbigen Wäsche sieht man den Schmutz nicht so gut.“
Sonja hatte es vorgezogen zu schweigen . Das war doch völliger Blödsinn! Bettwäsche kam bei ihr einmal pro Monat in die Waschmaschine, gleichgültig, ob sie nun weiß oder bunt war. Sie fand Dieters Denkweise pingelig und verschroben, alt eben. Im Verlauf des weiteren Vormittags kam ihr Robert immer öfter in den Sinn. Was er jetzt wohl gerade machte? Hoffentlich hatte er sich an sein Versprechen gehalten und sich nicht betrunken. Leiden würde er, der arme Kerl. Hockte zu Hause und grämte sich wegen ihr. Wie es wohl wäre, wenn sie mit ihm hier in Schwäbisch Gmünd ein Wochenende verbrächte? Sicher hätten sie auch ihren Spaß miteinander. Je länger sie mit Dieter zusammen war, desto mehr sehnte sie sich nach Robert. Nach seiner Unkompliziertheit, seinen witzigen Spinnereien. Eigentlich war er wirklich ein netter Kerl. In der langen Zeit ihres Beisammenseins hatte sie sich schon so an ihn gewöhnt, an seine Zärtlichkeiten, an seine ganz eigene Art. Auf einmal reizte sie Roberts Jugendlichkeit viel mehr als Dieters Gesetztheit.
Im Laufe des Nachmittags begann Sonja zur Rückfahrt zu drängen. Sie habe noch einiges zu tun, gab sie vor. Die Arbeit säße ihr im Nacken, das belaste sie doch mehr als gedacht.
Dieter schien es recht zu sein. Die Heimfahrt verlief ruhig, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Kaum zu Hause , machte sich Sonja auf den Weg zu Robert.
Zu ihr er großen Freude war er daheim. Er öffnete und ließ sie herein. Als sie dann aber in seinem Zimmer saßen, war die Situation völlig anders als Sonja es erwartet hatte. Sie hatte gedacht, Robert würde ihr vor Freude um den Hals fallen, sie küssen und an sich drücken. Doch er verhielt sich distanziert, war seltsam verändert, so als hätte er herausbekommen, dass sie mit Dieter unterwegs gewesen war und mit ihm geschlafen hatte.
Sonja war verwirrt. Wie hätte er das erfahren können? Sie hatte doch niemanden in ihr Unterfangen eingeweiht! Nicht einmal ihre beste Freundin Renate, der sie sonst alles mitteilte. Die Öffentlichkeit sollte von der Neuigkeit erst erfahren, wenn Sonja sich absolut sicher wäre.
Beide fühlten sich seltsam gehemmt. Seine wenigen Zärtlichkeiten kamen Sonja unecht vor. War er so komisch oder lag es an ihr? Spürte er ihre Skrupel, die sie davon abhielten, intensiver mit ihm zu schmusen? Sie kam sich so schäbig vor, so gemein. Wenige Stunden erst war es her, dass sie mit einem anderen Mann im Bett gelegen war. Von Robert hatte sie immer absolute Treue verlangt, ihm gedroht, dass sie ihn sofort verließe, falls er einmal nebenraus ginge. Und sie? Wo waren ihre Prinzipien! Was war denn nur mit ihr los?
Ich muss raus hier, überkam es Sonja. Ich muss erst mal Abstand schaffen zwischen dem, was gewesen war und der nahen Zukunft. In der jetzigen Stimmung war eine Annäherung u nmöglich. Im Moment wollte sie nur noch eines: alleine sein, vollkommen allein.
Was war sie eige ntlich für ein Mensch, dachte sie verzweifelt, als sie wenig später zuhause auf ihrer Couch lag. All dieses Abwägen, dieses Für und Wider von Fakten, hatte das denn auch nur im geringsten etwas mit Liebe zu tun? Wusste sie überhaupt was Liebe war? Liebe, das lernt ein kleines Kind, das von Mutter und Vater
Weitere Kostenlose Bücher