Die Nacht im Stau (German Edition)
Sie sah Robert eindringlich an. „Das wäre mir wirklich wichtig, für dich und für mich auch, ja?“
Robert nickte ohne sie anzuschauen.
„Am Dienstag hole ich dich vom Labor ab und dann sehen wir weiter“, fuhr sie fort. Sie hatte nicht vor, Robert von dem geplanten Wochenende mit Dieter zu erzählen. Das würde ihn nur unnötig quälen und sie hoffte, dass er es auch nicht per Zufall erfuhr.
„Bitte, Robert, sei so lieb und lass mich jetzt alleine, sonst komme ich nicht zur Ruhe.“
Sie wollte nicht zu spät wegkommen, musste noch ihr Gepäck fertig machen.
Ohne zu zögern war Robert aufgestanden.
Die Verabschiedung verlief kurz und ohne Umarmung. Sonja wartete, bis sie die Haustüre ins Schloss fallen hörte, dann holte sie tief Luft und machte sich an die Arbeit.
Zwei Stunden später brachen sie und Dieter nach Schwäbisch Hall auf. Allein schon die Hinfahrt war prickelnd. Herrlich, dieser Gedankenaustausch, die gemeinsamen Themen, die ähnlichen Erfahrungen mit Professoren und die Beurteilung von Seminaren.
Sie fuhren mit Sonjas Auto, weil Dieter keinen PKW besaß. Er wohne so nahe an der PH, meinte er, da sei ein Fahrzeug nicht notwendig.
In der mittelalterlichen Stadt genossen sie das warme, frühsommerliche Wetter, bummelten durch die engen Gassen, tranken Kaffee in einem Straßencafé und bewunderten anschließend St. Michael, die gewaltige spätgotische Kirche. Als Dieter sie fragte, ob sie denn keinen Freund habe, gab sie eine ausweichende Antwort. Ja, sie sei liiert, sogar verlobt, aber ihre Beziehung sei so gut wie beendet. Ihr Begleiter nahm es schweigend zur Kenntnis und hakte nicht weiter nach.
G egen Abend suchten sie das Gasthaus auf, in dem sie sich eingemietet hatten. Während des gutbürgerlichen Abendessens wollte Sonja möglichst viel von Dieter erfahren und so berichtete er auf ihr Fragen hin, dass er einen sehr guten Kontakt zu seiner Mutter habe – „Die wird dich mögen“ – und dass sein Vater in einer Kanzlei arbeite, dass er seine Eltern aber nur selten sähe, weil sie in Ostdeutschland lebten.
Je mehr die Zeit verstrich , desto sicherer wurde sich Sonja. Ja, mit diesem Mann könnte sie sich vorstellen für immer zusammen zu bleiben. Mit ihm würde es sicher auch in Zukunft einen regen Gedankenaustausch geben.
Doch als sie dann in der Nacht zusammen schliefen, kamen ihr die Tränen. Zum Glück war es völlig dunkel im Zimmer – Dieter hatte darauf bestanden – und so bekam er von Sonjas Reaktion nicht viel mit.
So wie mit Robert würde es nie we rden. Dieter kam viel zu schnell. Außerdem schwitzte er den ganzen Akt über und roch unangenehm nach Schweiß. Das sei bei ihm normal so, gab er unumwunden zu, als sie ihn etwas später vorsichtig darauf ansprach, ob er immer so schnell wäre.
Sonja war enttäuscht, versuchte aber ihr Gefühl so gut es nur ging zu verdrängen. Guter Sex war ihr zwar wichtig, aber vielleicht würde das ja doch noch werden, und schließlich brillierte ihr Kommilitone, was die Gespräche angingen.
Am nä chsten Morgen sprach Dieter während des Frühstücks über seine Pläne sie beide betreffend. Demnächst würden sie einen gemeinsamen Urlaub machen, danach eine Wohnung suchen, dann kämen die Verlobung und die baldige Hochzeit.
Ein bisschen sehr schnell ist das ja alles, sinnierte Sonja während sie seinen Worten lauschte und, mit einem Biss ins Brö tchen, immer wieder sein Gesicht studierte. Ein reifer Mann. Mit kleinen Geheimratsecken, aber das, so hatte sie einmal gehört, sei ja ein Zeichen von Wissen, von Intelligenz. Klar, sein Vater war ja auch Rechtsanwalt. Klein Dieter war bestimmt in einem gut bürgerlichen Elternhaus aufgewachsen, mit viel kognitiver Förderung. Dadurch, dass er nach so kurzer Zeit vom Heiraten sprach, fühlte Sonja sich geschmeichelt. Er musste sie sehr mögen, wenn er so schnell daran dachte, sie zu seiner Frau zu machen. Und dann seine Aufmerksamkeiten beim Türeöffnen oder in die Jackehelfen, seine Zärtlichkeiten, wie gut das alles tat!
Bei diesem Gedanken schob sich auf einmal Robert in ihr Bewusstsein. War er denn am Anfang ihrer Beziehung nicht genau so aufmerksam und zärtlich gewesen? Wie hatte sie sich damals geliebt und begehrt gefühlt! Gut, sie war nicht sofort extrem verliebt gewesen, ihre Gefühle Robert gegenüber wuchsen erst im Laufe der Zeit. Aber war es denn im Augenblick nicht genau das Gleiche? Sie genoss Dieters Zuwendung, aber ihre Gefühle ihm gegenüber – wie war es denn
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