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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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Bouchard war — mein Bruder.«
    Sie zuckte zusammen und machte eine Bewegung, als wolle sie aufspringen.
    »Ich weiß nicht«, fügte ich rasch hinzu, »was Sie von mir wissen — es ist jetzt auch egal. Aber ich will wissen, wer ihn umgebracht hat. Wollen Sie mir helfen, es herauszubringen? Sie haben ihn doch geliebt, nicht?«
    Sie senkte den Kopf wieder und gab keine Antwort.
    »Nicht wahr«, fragte ich eindringlich, »Sie haben ihn geliebt?«
    »Natürlich«, murmelte sie, »natürlich. Weshalb wäre ich sonst — «
    Sie stand auf. Ich spannte meine Muskeln. Vielleicht geht sie jetzt hinaus und ruft um Hilfe — oder sie versucht, zu telefonieren?
    Sie nahm eine Zigarettendose vom Schreibtisch und hielt sie mir offen hin. Ich nahm mir eine Zigarette und gab ihr Feuer. Sie setzte sich wieder.
    »Sonderbar ist das alles«, sagte sie, »ich habe — «
    »Was haben Sie? Haben Sie Angst?«
    Sie nickte.
    »Warum?« fragte ich. »Wissen Sie, warum Alexandre getötet wurde?«
    »Nein, woher soll ich das wissen?«
    »Er hatte Feinde, das weiß ich.«
    Sie schüttelte den Kopf, ohne mich anzusehen.
    »Ich weiß davon nichts, wir sprachen nie über solche Dinge. — Ich möchte fort, ich möchte Paris verlassen.«
    »Warum gehen Sie nicht zu Ihren Eltern zurück?«
    Sie gab keine Antwort. Wir rauchten eine Weile schweigend, dann sagte ich:
    »Der Mann, der Sie vorhin besucht hat — war nicht von der Kriminalpolizei.«
    Sie hob überrascht den Kopf und schüttelte sich die Locken aus dem Gesicht.
    »Nicht? — Er hatte einen Ausweis.«
    Ich machte eine Handbewegung.
    »Das hat nichts zu sagen. — Er wurde doch angerufen, während er bei Ihnen war? Wie war das?«
    »Man rief mich ans Telefon, und er ging mit. Ich sagte ihm leise, daß ein gewisser — Cormelle oder so ähnlich einen Monsieur Gravelle sprechen wolle — da nahm er den Hörer und meldete sich. Ich dachte, es sei ein Anruf von der Polizei für ihn.«
    »Nein«, sagte ich, »es war nicht die Polizei. — Ich warte noch auf Ihre Antwort.«
    »Auf meine Antwort?«
    »Ja. Ob Sie mir helfen wollen, den Mörder Alexandres zu finden.«
    Sie nickte langsam.
    »Wenn ich Ihnen helfen kann — natürlich. Glauben Sie, die Polizei wird ihn nicht finden?«
    »Die Polizei hat schon eine Spur; aber diese Spur ist falsch. Hier, lesen Sie das!«
    Ich gab ihr die Zeitung und sah, wie sie den Artikel mit zusammengezogenen Augenbrauen überflog. Dann schaute sie mich groß an.
    »Sie?«
    »Ja — ich. Sagt die Polizei. Ich habe Pech mit diesen Dingen. Vor neun Jahren sagte sie, ich hätte meinen Vater erschossen. Was hat Ihnen Alexandre von mir erzählt?«
    »Nicht viel«, erwiderte sie und schaute mich offen an. In ihrem Blick lag nun etwas Prüfendes, Abwägendes. »Er erwähnte Sie nur einmal.«
    »Und was sagte er Ihnen da?«
    »Er sagte, daß er einen Bruder habe, und fragte mich, ob ich mich an die Geschichte erinnern könne. Ich wußte nicht, was er meinte, und er erklärte mir, daß Sie — daß Sie im Zuchthaus wären, weil Sie Ihren Vater auf der Jagd erschossen hätten.«
    Ich rechnete rasch nach. Germaine war etwa fünfundzwanzig, höchstens sechsundzwanzig — sie war damals, als mein Prozeß lief, höchstens sechzehn oder siebzehn gewesen. Sie konnte die Wahrheit sagen.
    »Ich habe weder meinen Vater erschossen noch Alexandre«, sagte ich, »aber es gibt auch diesmal wieder gewisse Umstände, daß man mich für den Mörder halten wird. Deshalb muß ich ihn finden. — Wollen Sie mir dabei helfen?«
    »Ja«, sagte sie und blickte mich an. Ich hatte den Eindruck, als glaube sie mir, und das gab mir Sicherheit.
    »Ich danke Ihnen«, sagte ich, »es ist nicht leicht für Sie, mir zu glauben. Ich danke Ihnen, daß Sie es tun. Wir werden den Mörder Alexandres finden! — Suchte dieser Mann, der vorhin hier war — suchte er etwas Bestimmtes?«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Ich weiß nicht genau — er schien hauptsächlich Papiere zu suchen.«
    »Papiere?«
    »Ja. Er wühlte hier alles durch. Alle meine Schreibsachen, den Schreibtisch, alle Schubladen.«
    Francois mußte sehr rasch gearbeitet haben.
    »Hat er etwas gefunden?«
    »Nein, natürlich nicht. Ich habe nichts hier, was Alexandre gehörte. — Nur die Schlüssel hat er mitgenommen.«
    »Die Schlüssel zu seinem Haus?«
    »Ja.«
    »Waren Sie oft draußen in Issy?«
    »Nein, sehr selten in letzter Zeit.«
    »Haben Sie etwas an ihm bemerkt? War er nervös? Hatten Sie den Eindruck, daß Alexandre in Gefahr

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