Die Nacht in Issy
kaum wagen, am helllichten Tag einen Besuch in Issy zu machen. Aber heute nacht würde er draußen sein, wahrscheinlich. Und ich auch. Die Papiere, die Francois interessierten, waren auch für mich wichtig.
Am Pont de L’Alma standen viele Leute und schauten ins Wasser. Ich sah die Polizei mit einem Schlauchboot. Sie hatten etwas Langes, Schwarzes im Schlepp. Ich blieb stehen und schaute eine Weile zu. Sie zogen den Mann, der einen dunklen Anzug anhatte, vorsichtig an Land. Viele Menschen sterben jeden Tag in Paris.
Ich ging weiter und bummelte den Quai d’Orsay entlang bis zum Eiffelturm. Wer hatte den kleinen Alten auf meine Fährte angesetzt? Wer hatte soviel Interesse an mir? Jemand, der mehr von mir wußte, als ich ahnte. Vielleicht Pierre? Pierre war ein schlauer Bursche, und sehr vorsichtig. Womöglich wußte er schon längst, wer ich war? Ich hatte zwar meinen Namen nie genannt und war überzeugt, daß ihn auch Gustave nicht wußte; aber Pierre kannte mich vielleicht doch? Nun hatten sie zuerst von Alexandres Unfall erfahren. Alexandre war ihnen wichtig, sie waren sicherlich draußen in Issy gewesen, sofort. Und sie hatten Wind davon bekommen, daß es kein Unfall war. Und dann kam der Zeitungsartikel, sie hatten das schon vorher gewußt. Nun hatten sie mich in der Hand.
Keine schöne Aussicht für mich. Sie suchten Papiere, und sie konnten glauben, daß ich sie hätte. Ich war neugierig, was sie nun mit mir anfangen würden.
Ich kaufte mir an einem Stand ein paar Brötchen mit Fisch und aß sie im weitergehen.
4
Als ich nach Hause gekommen war, ging ich leise über den Hausboden. Ich hörte, daß jemand zu Besuch da war. Ich erkannte ihn an der näselnden Stimme: es war Pierre.
Ich schlich vorsichtig zum Kamin und löste die Steine. Gustaves Pistole war nicht geladen, aber ich fand auch die Schachtel mit der Munition. Ich lud das Magazin, versteckte die Schachtel wieder und versenkte die Pistole in meiner linken Brusttasche. Dann schlich ich zurück, ging ins Treppenhaus hinaus und kehrte laut pfeifend um.
»Ah!« rief ich, als ich die Mansarde betrat, »wir haben hohen Besuch.«
Gustave und Dedé saßen am Tisch; Pierre hockte mit hochgezogenen Beinen auf dem Bett. Es roch nach Kaffee, und alle drei hatten halbvolle Tassen.
»Da komme ich ja gerade noch zur rechten Zeit«, sagte ich und blickte Dedé an, »hast du noch eine Tasse für mich? — Was gibt’s, Pierre?« fuhr ich gleichgültig fort. »Du willst natürlich wissen, was ich den Vormittag über getrieben habe, nicht?«
»Interessiert mich verdammt wenig«, knurrte er, »aber es ist gut, daß du da bist. Wir brauchen dich nämlich.«
»Mich?«
»Das sagte ich eben. — Kannst gleich mitkommen.«
»Wohin?«
Er grinste. Pierre Cormeilles sah gut aus. Er war mittelgroß und kräftig gebaut. Er trug wenig auffallende, gutsitzende Anzüge, und sein langes, schwarzes Haar war immer gepflegt. Man hätte ihn für einen Kavalier gehalten, wenn er nicht so breite Hände mit unsauberen Fingernägeln gehabt hätte.
»Wohin«, wiederholte er näselnd, »das wirst du schon sehen. Labourusse möchte mit dir reden, das ist alles.«
»Oh!« machte ich erstaunt, »der Chef selber. Donnerwetter! Meine Aktien scheinen langsam zu steigen. Seit vierzehn Tagen bemühe ich mich um ihn; aber er hatte nie Zeit für mich.«
»Rede nicht soviel Quatsch«, rief Pierre und erhob sich, »wir haben nicht mehr viel Zeit.«
»Ich schon«, bemerkte ich und schaute Dedé an, »was ist mit meinem Kaffee? Bekomme ich keinen?«
Gustave hatte mich bisher still beobachtet, nun sagte er zu ihr: »So gib ihm doch eine Tasse!«
Sie stand brummelnd auf. Pierre kam einen Schritt näher.
Ich sah, daß er wütend war.
»Du kannst später Kaffee trinken. Ich hab’ absolut keine Lust, noch länger zu warten.«
»Der Abend gestern«, sagte ich und blinzelte Gustave zu, »der hat mir solchen Durst gemacht. Ich könnte die ganze Zeit trinken. Du findest doch auch«, wandte ich mich an Pierre, »daß es nett von mir war, Gustave heute nacht zu begleiten?«
»Du bist ein ganz verdammter Narr«, schrie Pierre, »man sollte dir endlich das Maul stopfen.«
»Wird nicht ganz einfach sein«, erwiderte ich, »ich weiß von euch genau soviel wie ihr von mir, wenn nicht mehr.«
Pierre schnaubte durch die Nase.
»Was kann sie dir schon verraten haben?«
»Gewiß nicht mehr als Francois«, sagte ich, »aber ich wußte schon vorher einiges.«
Ich setzte mich an den Tisch — Dedé
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