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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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Beaux Arts. Ich hatte sie vor vierzehn Tagen in der Rue de la Harpe kennengelernt. Sie sah nett aus und war es auch, obgleich ihr Beruf nicht gerade gesellschaftsfähig war.
    Eine Viertelstunde später war ich dort. Sie war zu Hause und über meinen Besuch ziemlich erstaunt.
    »Ich habe im Augenblick keine Wohnung«, sagte ich, »kann ich eine Weile bei dir bleiben?«
    Sie nahm mich mit in ihr Zimmer. Die Wohnung war ein dunkles Loch; von einem langen Korridor führten nach allen Seiten Türen in kleine Zimmer, an denen Visitenkarten mit Reißnägeln festgemacht waren. Constance bewohnte eins davon.
    Es war so schmal, daß man mit ausgestreckten Armen beinahe beide Wände erreichen konnte. Dafür war es mindestens sechs Meter lang; es war das ungemütlichste Zimmer, das man sich denken konnte. Das schmale, hohe Fenster an der Frontseite ließ nicht viel Licht herein, außerdem waren die Vorhänge noch zugezogen. Direkt neben dem Fenster stand ein altmodisches Bett aus weiß lackiertem Eisen; dann kam ein hölzerner Waschtisch mit einer zersprungenen Marmorplatte, Waschschüssel und Emaillekrug; dann ein wackeliger Schrank, der auf Ziegelsteinen stand. Und schließlich, gleich neben der Tür, stand ein Tisch mit zwei Stühlen. Das alles befand sich hintereinander auf einer Seite; auf der andern konnte man sich an der Wand entlang gerade bis zum Bett durchzwängen.
    Sie hatte mir Zeit gelassen, das alles zu sehen. Dann sagte sie:
    »Hier?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Es ist zwar warm draußen; aber auf den Bänken wird man kontrolliert. Ich habe keine Papiere. Ich finde es hier besser als im Zuchthaus.«
    »Ach ja«, sagte sie und schaute mich aufmerksam an, »du hast gesessen, was?«
    »Ja, ein paar Jahre.«
    Sie knabberte an den Fingernägeln und beobachtete mich weiter. Sie war tatsächlich hübsch. Ihre langen, kastanienbraun gefärbten Haare umrahmten das schmale Gesicht in weichen Locken. Ihre großen, dunklen Augen hatten lange, gebogene Wimpern, die echt waren, und ihr kleiner, voller Mund zeigte einen schönen Bogen, er sah aus wie ein kleines Herz.
    »Aber billig kommst du mir nicht weg dabei«, sagte sie.
    Ich lachte. »Das kann ich mir denken, ich bin auf allerhand gefaßt.«
    »Warte mal einen Augenblick«, sagte sie und ging aus dem Zimmer. Nach ein paar Minuten kam sie zurück.
    »Es geht. Ich hab’ mit den anderen gesprochen, wir können abwechseln. Du kannst hierbleiben.«
    »Ihr seid nette Kerle!«
    »Immer schon gewesen«, nickte sie und trank ihr Glas aus. Dann schaute sie auf die Armbanduhr.
    »Was! Schon halb sieben! — Wir können essen und dann noch eine Stunde schlafen, ja?«
    »Gern«, sagte ich.
    »Dort gegenüber ist das Bad und das Clo, damit du es weißt.«
    Sie ging wieder hinaus und kam mit einem kleinen Tablett zurück.
    »So, das ist alles.«
    Sie stellte zwei Teller auf den Tisch, ein Körbchen mit Brot, etwas Butter und eine Schachtel voll Sprotten.
    »Es hat mir schon lange nicht mehr so gut geschmeckt«, sagte ich, als wir gegessen hatten.
    Sie blinzelte mir zu.
    »Du lügst, mein Lieber; aber du lügst nett. Bist du satt?«
    »Und wie!«
    »Na schön. Es ist noch genug da.«
    Wir zündeten uns eine Zigarette an, und dann zog sie sich aus.
    »Was willst du lieber«, fragte sie, »Wand oder vorn?«
    »Vorn.«
    »Ah!« machte sie und drohte mir mit dem Finger, »aber kneifen gilt nicht!«
    »Ich kneife bestimmt nicht, Constance.«
    Ich glaube, ich hatte Fieber. Sie war seit neun Jahren die erste Frau. Sie schaute mir zu, und ich genierte mich, aber sie schaute mich prüfend an und meinte:
    »Du siehst besser aus, als ich dachte.«
    »Zum Teufel ja«, sagte ich, »mach doch das Licht aus!«

    Als ich aufwachte, war der Platz neben mir leer. Ich machte Licht und stellte fest, daß es schon halb neun Uhr war. Auf dem Nachttisch lag ein Stückchen Papier.
    Sie hatte eine Schrift wie ein Mädchen von zwölf Jahren.
    »Auf dem Tisch ist noch was zu essen und der Hausschlüssel.«
    Sie hatte mir zwei Brote gerichtet und eine Apfelsine dazu gelegt, und der Hausschlüssel lag auf einer angebrochenen Packung Zigaretten.
    Ich hatte tatsächlich Hunger und aß die Brote und die Apfelsine. Dann zog ich mich rasch an, steckte den Schlüssel ein und verließ das Haus.
    In St. Germain des Prés stieg ich in die Metro und fuhr bis zum Gare Montparnasse. Ich hatte Glück und brauchte nur zwölf Minuten zu warten, bis ein Zug nach Malakoff abging. Von dort aus nach Issy war nur eine halbe

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