Die Nacht in Issy
oder nicht?«
»Gehen Sie!« sagte er. »Vielleicht bringt Sie das weiter. Er wird Ihnen nichts tun, solange Sie die Papiere haben.«
»Das dachte ich auch. Sie sind gut verwahrt.«
»Und sagen Sie ihm nichts von mir, bitte!«
»Bestimmt nicht, Monsieur Mompard. Entschuldigen Sie«, sagte ich, »wegen gestern! Ich konnte das nicht wissen.«
»Und ich wußte nicht, daß Sie es waren. Ich hielt Sie für einen von Pierres Leuten.«
»War auch einer da«, sagte ich, »draußen, Francois. Er war zu spät gekommen und konnte mir nichts mehr tun.«
»Ach?« machte er, »Francois war auch da? Sieh mal an!«
Er begleitete mich zur Tür und reichte mir die Hand.
»Achten Sie mal auf jemanden«, flüsterte er mir zu, »der Zigaretten Marke >Blue Hill< — englische Zigaretten — raucht. Und verlieben Sie sich nicht in die Schwester von Monsieur Labourusse; sie ist verdammt hübsch.«
In der Rue du Faubourg fand ich ein winziges Café und setzte mich so, daß ich von einer Säule ein wenig gedeckt war.
Ich konnte mir nicht denken, daß Constance meinen Aufenthalt verraten hatte; aber ich hatte auch keine Ahnung, wer sonst es gewesen sein konnte.
Wie war dieser lange Kerl, der Abgesandte von Labourusse, in das Zimmer gekommen?
Und daß Labourusse eine Schwester hatte, war mir auch neu. Ebenso neu war mir, daß diese Schwester etwas mit Alexandre gehabt hatte. Ich hatte ihn fast einen Monat lang beobachtet, aber ich hatte nie ein Mädchen bei ihm gesehen — außer natürlich Germaine. Und nun konnte die ganze Sache ein völlig anderes Gesicht bekommen. Vielleicht war es ein Mord aus Eifersucht?
Ich grübelte noch eine Weile darüber nach, was Labourusse wohl von mir wollte, und dann entdeckte ich, daß es gleich sechs Uhr war. Ich zahlte und verließ das Café.
7
Gustave lag auf dem Bett und las in einem Kriminalroman. Dedé saß am Tisch und stopfte Strümpfe. Sie warf mir nur einen kurzen Blick zu und stopfte weiter. Gustave senkte das Buch, schaute mich kurz an und knurrte vor sich hin.
Ich legte Dedé zwei Scheine auf den Tisch.
»Hier, tausend Francs! — Ich hab’s dir versprochen.«
Sie machte weder eine Bewegung, noch schaute sie von ihrer Arbeit auf.
»Das hättest du nicht tun sollen«, sagte Gustave und warf das Buch in eine Ecke, »verdammt noch mal, das nicht.«
»Was denn?« fragte ich.
»Du hättest uns sagen sollen, was du vorhast«, fuhr er fort. »Wir dachten, du machst irgendein paar kleine Sachen und haust dann ab.«
»Ich habe nichts Großes gemacht«, sagte ich. »Übrigens brauche ich jetzt deine Pistole nicht mehr. Vielen Dank!«
Ich legte sie auf den Tisch. Gustave stand auf, sah sie nach, und steckte sie dann ein.
»Du hast deinen Bruder umgelegt«, behauptete Dedé.
»Nein«, widersprach ich, »das war ich nicht. Wer sagte es euch? Etwa Pierre oder Francois?«
Gustave nickte.
»Ich glaube«, sagte ich, »die beiden wissen von dem Mord mehr als ich. Es war ein Zufall, daß ich gerade dazugekommen bin, und es war Pech, daß ich eine Pistole in der Tasche hatte. Das ist alles.«
»Na gut«, sagte Gustave, »aber was willst du jetzt noch hier? Wenn man dich hier erwischt, sind wir mit dran.«
»Ich denke«, meinte ich, »Pierre und Labourusse wollten hierher kommen. Sie haben mich doch herbestellt. Um sechs Uhr.«
Gustave und Dedé schauten sich an, dann schüttelte Gustave den Kopf. »Davon weiß ich nichts. Ich glaube es auch nicht. Pierre ist in Argenteuil draußen, und Labourusse ...« — er machte eine Handbewegung — »... Labourusse wird sich lieber das Genick brechen, als hierher zu kommen.«
»Aber ihr habt doch einen Mann geschickt, der mich hierher holen sollte. Um vier Uhr war er bei mir. Ich sagte ihm, daß ich um sechs hier wäre.«
»Davon weiß ich nichts. Und, wie gesagt, Pierre ist gar nicht da.«
»Er war groß und hager«, erklärte ich, »er hatte ein langes Pferdegesicht mit Sommersprossen, und er hatte rotblonde, kurz geschorene Haare.«
Gustave dachte eine Weile nach, dann sagte er:
»Kenne ich nicht.«
Wir schwiegen eine Weile.
Plötzlich sagte er:
»Wenn’s nun aber ein Greifer war? Dann schnappen sie uns jetzt hier zusammen. Du bringst uns in eine schöne Schweinerei hinein! Am liebsten wäre es mir, du würdest dich so rasch wie möglich verziehen.«
Er hatte vielleicht recht. Nun, in diesem Augenblick, schien es mir sehr wahrscheinlich, daß dieser Mann tatsächlich ein Kriminaler gewesen war. Er hatte gut gespielt, und ich war
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