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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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darauf hereingefallen. Er wollte nicht nur mich schnappen, und vor allem wollte er ganz sichergehen, den Richtigen zu erwischen.
    »Ja«, sagte ich, »es ist besser, wenn ich gehe.«
    Ich legte nochmals tausend Francs dazu und schaute Gustave an. Er stand am Fenster und blickte auf die Straße hinunter.
    »Auf Wiedersehen, Gustave!«
    Er drehte sich plötzlich um, und in seinem Gesicht stand deutlicher Schrecken.
    »Sie kommen!« rief er, »Mensch, die Polente! Hau ab! Hau ab, sag ich dir! Ich will nichts damit — dort raus — über dem Speicher, neben dem Kamin ist eine Dachluke, von dort ein Blitzableiter, du kannst ruhig dran runter. — In der Dachrinne nach links ins Nebenhaus, und dort über den Speicher nach hinten in den Hof. Los, Mensch — so lauf doch!«
    Ich kannte den Speicher gut genug. Über der Mansarde, in der Gustave wohnte, war ein Hohlraum, vom Speicher aus nicht zu sehen und nur wenige Zentimeter hoch.
    Ich stemmte mich hinauf und kroch hinein; es war unwahrscheinlich, daß mich jemand, der dieses Versteck nicht kannte, finden würde. Ich lag direkt über der dünnen Mansardendecke und hörte unten Dedé und Gustave aufgeregt flüstern. Und dann vernahm ich Schritte auf der Treppe. Sie machten vor dem Speicher halt; es mußten zwei Männer sein.
    Die Speichertür ging auf, und die Schritte kamen näher. In der Mansarde war es mäuschenstill.
    Dann hörte ich, wie jemand an die Tür klopfte.
    »Aufmachen — he aufmachen! — Polizei!«
    »Ja, ja«, hörte ich Gustave mürrisch brummen, »ich mach’ gleich — einen Augenblick — so, einen Moment!«
    Er ging mit nackten Füßen über den Boden zur Tür. Ich hörte den Riegel klacken, und dann sagte Gustave:
    »Noch einen Moment, meine Herren, einen kleinen Moment! Meine Frau ist noch nicht soweit. — Sie wissen, sonntags hat man etwas mehr Zeit und —«
    Der Gute, er wollte mir einen Vorsprung verschaffen, indem er sie aufhielt. Sie würden nun in der Mansarde nachschauen, dann würde die Jagd losgehen.
    »Mach dir nicht ins Hemd deshalb«, sagte einer von den Leuten, »wir haben keine Absichten auf deine Frau. Bist du Gustave Saupique?«
    »Ich?« machte Gustave gedehnt. »Ja — ja, das bin ich. Und ich habe meinen Entlassungsschein und arbeite jeden Tag in den Hallen.«
    »Kann sein«, sagte die andere Stimme, »aber nachts jedenfalls nicht. Louis, schau dir mal das Zimmer hier an! Aber paß auf, daß du nicht aus Versehen eine Wanze mit einpackst.«
    Sie lachten, und ich hörte unten Schritte hin- und hergehen. Es war mir heiß geworden; aber nun begann ich zu begreifen, daß sie gar nicht meinetwegen gekommen waren.
    »Ich weiß überhaupt nicht«, sagte Gustave, »was Sie hier wollen. Wir verbringen einen friedlichen Sonntag, und —«
    »O ja«, sagte einer, »nach getaner Arbeit ist gut ruhn, und so. Wo warst du denn in der Nacht von Freitag auf Samstag, he?«
    »Freitag auf Samstag?« machte Gustave gedehnt. »Ja — Moment mal! Da war ich — ach ja, da war ich mit einem Spezi unterwegs, wir haben—«
    »Einen kleinen Einbruch gemacht, was? Einen Einbruch in der Rue de La Fayette, he? Und dabei ein bißchen auf die Polizei geschossen, he?«
    Gustave lachte.
    »Wenn’s weiter nichts ist«, sagte er, »ich war noch selten so weit von der Rue de La Fayette entfernt wie in dieser Nacht.«
    »Oha«, rief der eine, »da haben wir ja ein ganz hübsches kleines Kanönchen! Schau einer an! — Eine FN, Kaliber sieben Komma fünfundsechzig. Könnte stimmen, Charles, he?«
    »Könnte stimmen. — Wo ist dein Waffenschein?«
    »Hab’ keinen«, sagte Gustave, »aber ich brauche auch keinen, weil ich die Pistole nur hier in meinem Zimmer habe. Ich habe sie noch nie mitgenommen.«
    Nun mischte sich Dedé ins Gespräch.
    »Unglaublich ist das!« rief sie empört. »Jawohl, mein Mann hat gesessen; aber ist das ein Grund, ihn immer wieder zu verdächtigen? Keiner hat so fleißig gearbeitet, seit er entlassen wurde, wie er. Könnt ihr einen denn nie mehr in Ruhe lassen?«
    »Du wirst ein Alibi haben, denke ich?« fragte einer.
    »Was weiß ich«, knurrte Gustave, »ein ordentlicher Mensch kümmert sich nicht dauernd um ein Alibi. Ich war mit einem Freund unterwegs. Wir haben ein bißchen getrunken — da und dort. Das ist alles. Um — um — wann bin ich heimgekommen, Dedé?«
    Er machte das großartig. Ich bewunderte ihn um seine Gewandtheit.
    »Ach«, sagte sie, »ich hab’ auch nicht auf die Uhr geschaut. Aber es kann — halt, ja doch,

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