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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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»vielleicht kommen sie noch mal zurück.«
    Sie nickte geistesabwesend vor sich hin, dann ging sie zum Schrank, nahm einen dünnen, abgeschabten Staubmantel heraus und warf ihn mir zu.
    »Da, zieh ihn an! Gelegentlich bringst du ihn mir vorbei.«
    Ich nahm den Mantel schweigend und ging. Mein »Auf Wiedersehen!« schien sie nicht gehört zu haben. Als ich die Tür schloß, stand sie am Fenster und schaute in den Regen.

8

    Als ich leise ihr Zimmer betrat, lag Constance im Bett und blinzelte mich an.
    »O Jean«, sagte sie schlaftrunken, »gut, daß du da bist. Ich hatte Angst um dich.«
    »So? — Warum?«
    Sie richtete sich auf und war plötzlich wach.
    »Sie hat getratscht«, sagte sie und zeigte mit dem Daumen auf die Tür, »das kleine Biest gegenüber. Sie hat dich gesehen und hat herausbekommen, wer du bist. Sie hat es Pierre gesagt. Heute nacht.«
    »Ach so, daher! Pierre hat jemanden geschickt.«
    »Du mußt weg«, sagte sie, »sie wissen jetzt, wer du bist.«
    »Aber sie werden mir vorerst nichts tun«, behauptete ich und nahm sie in den Arm.
    Sie schüttelte sich.
    »Pfui Teufel — bist du naß!«
    Ich zog Mantel und Jacke aus und rieb den Kopf trocken.
    »Labourusse wollte mich sprechen«, sagte ich, und dann erzählte ich ihr alles, was vorgefallen war. Nur die Sache mit Mompard und der Schwester von Labourusse verschwieg ich ihr. Ich sah, daß sie angestrengt nachdachte.
    »Ich glaube auch, daß es nicht gefährlich ist«, erklärte sie dann, »sonst hätten sie dich schon hier fertig gemacht. Dazu brauchten sie dich nicht zu bestellen. Sieht fast so aus, als ob sie was von dir wollten, nicht?«
    »Ja, und ich weiß auch, was. Die Papiere. Sie haben Angst vor den Papieren. Hör mal, Constance, du mußt mir helfen!
    Ich weiß nicht, was heute nacht noch alles passiert. Aber ganz egal: wenn ich morgen früh nicht hier bin, dann gehst du zur Post. Dort liegt der Umschlag mit den Papieren; er liegt auf deinen Namen dort. Den holst du dann ab und gibst ihn der Polizei und sagst — nein, du sagst gar nichts. Du gibst ihn einfach ab. Hast du mich verstanden?«
    »Ja. Aber nur, wenn mit dir was los ist, ja?«
    »Nur wenn ich morgen früh nicht zurückkomme.«
    Sie nickte.
    Es regnete noch immer.
    »Was machst du heute abend, Constance, bei dem Regen?«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Vielleicht hört’s später auf.«
    »Du könntest heute hierbleiben. Ich habe genug Geld.«
    Sie blickte mich an, und in ihren Augen glitzerte etwas.
    »Wirklich, Jean? Möchtest du das?«
    Weiß der Henker, warum ich in diesem Augenblick an Germaine denken mußte. Ich sah sie ganz deutlich vor mir und hörte sie sagen: »Ich dachte, Sie wären anständig.«
    »Ja«, sagte ich zu Constance, »ja, das möchte ich wirklich.«
    Sie zog mich an sich. Es war so dunkel im Zimmer, daß ich nur ihre großen Augen sehen konnte und ihren Mund.
    Und draußen rauschte leise der Regen ans Fenster.

    Mit einem schauerlichen Klopfen im Ohr wachte ich auf. Constance hatte beide Arme um mich geschlungen.
    Es klopfte wieder. Mit einer raschen Bewegung drückte sie mich ins Bett zurück und zog mir die Decke über den Kopf. Dann ging sie zur Tür. Ich konnte genau hören, was vorging.
    »Ja, zum Teufel«, sagte sie, »ich mache schon auf. Was ist denn los?«
    Ich hörte, wie sie die Tür aufriegelte, und dann vernahm ich eine Männerstimme: »Ist er da? Ich soll ihn mitnehmen.«
    Es war die Stimme des Rothaarigen.
    »Ja«, sagte ich laut und schlug die Decke zurück, »er ist da.«
    Es war tatsächlich der Rothaarige. Er kam lachend herein.
    »Entschuldigen Sie, Mademoiselle!« sagte er nebenhin zu Constance, die sich einen Morgenmantel übergeworfen hatte, und dann kam er ans Bett.
    »Sie haben vielleicht Nerven«, sagte er und schüttelte den Kopf, »liegt da mit einem Häschen im Bett!«
    Ich setzte mich auf und zog die Bettdecke bis an die Schultern.
    »Sie haben’s also geschafft«, sagte ich. »Ist Gustave in Sicherheit?«
    Er lachte, dann aber schaute er erstaunt auf.
    »Woher wissen Sie — ?«
    »Ich hab’ alles gehört«, sagte ich, »ich war keine zwei Meter entfernt.«
    »Ach so! — Gustave sagte, Sie wären rechtzeitig getürmt. Hat aber gar nicht Ihnen gegolten. — Tja, Gustave ist schlimm dran. Einer hat ihn verpfiffen, behauptet, ihn schießen gesehen zu haben. Und sie haben seine Pistole — er hat wirklich geschossen, das Kamel. Na, schön, zunächst ist er in Sicherheit.«
    »Und nun soll ich zu Labourusse kommen?« fragte

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