Die Nacht in Issy
ihn.
Er schaute mich einen Augenblick überrascht an, dann grinste er vielsagend.
»Es gibt gar keinen Monsieur l’Arronge. Aber wir haben unter diesem Namen tatsächlich einen der größten Stände in den Hallen.«
Wir waren im ersten Stock angelangt, und der Rote klingelte zweimal lang und dreimal kurz.
Die Tür wurde sofort geöffnet; wahrscheinlich waren wir vom Fenster aus beobachtet worden. Ich hatte mir Labourusse die ganze Zeit als einen Mann mit Stiernacken, breitem, sinnlichem Mund, kleinem Bauch und mit Äderchen im Gesicht vorgestellt.
Der Mann, der mich nun mit einer Handbewegung einlud, einzutreten, sah anders aus.
Er war kleiner als ich, schmal, fast schmächtig, und sein Gesicht war Dutzendware.
»Treten Sie bitte ein!« sagte er. Unwillkürlich überzeugte ich mich davon, daß nicht noch jemand hinter der Tür stand.
Die kleine Diele war nett eingerichtet; er schien Geschmack zu haben. Oder war das der Geschmack von Madame Mueller?
Während er mir eine andere Tür öffnete, sagte er über die Schulter zu dem Rotkopf:
»Du kannst gehen! — Es bleibt alles wie vereinbart.«
Das Zimmer, in das er mich führte, war geräumig und enthielt nicht allzuviel Möbel. Das Fenster, nach der Straßenseite zu, war nicht hoch, aber sehr breit. Der eine Flügel stand offen, und man sah noch das Baugerüst. An der rechten Wand war ein großer Vorhang mit einem modernen, abstrakten Muster. Wahrscheinlich war dahinter eine Tür zum Nebenraum.
An der linken Wand stand eine breite Couch, mit hellgrünem Brokat bezogen, davor ein birnenförmiger Tisch und zwei Klubsessel. Links neben dem Fenster in der Ecke stand quer ein Schreibtisch mit einem weißen Telefon. An den Wänden —
»Bitte nehmen Sie Platz!« unterbrach er meine Betrachtungen und deutete auf einen der Klubsessel.
Ich übersah diese Handbewegung und setzte mich auf die Couch. Ich wollte eine Wand im Rücken haben, da Wände meistens ungefährlich sind. Während ich mich setzte, schien es mir, als lächle er ein wenig.
Es war schwer zu schätzen, wie alt er war; er konnte fünfunddreißig sein oder auch fünfundvierzig.
»Sie wissen ja, weshalb ich Sie hergebeten habe«, sagte er, während er sich mir gegenübersetzte. >Hergebeten< war gut.
»Ich kann es mir denken«, meinte ich, »Sie wollen ein Geschäft mit mir machen.«
Er zeigte seine Zähne; sie standen etwas einwärts und waren nicht sehr weiß.
»Ganz richtig! So kann man es auch nennen.«
Er öffnete eine Büchse aus hellgrünem Emaille und bot mir eine Zigarette an.
Es waren keine »Blue Hill«.
Ich beobachtete ihn ungeniert, während er rauchte. Seine Hände gefielen mir; sie waren lang und schmal, und die Nägel waren gepflegt.
»Sie hatten es in den letzten achtundvierzig Stunden nicht leicht.«
»Gewiß nicht. Es gab viel zu tun.«
Er winkte ab. »Ich weiß, ich weiß. Ob Sie Alexandre erschossen haben oder jemand anders, ist jetzt unwichtig. Er ist jedenfalls...«
»Für Sie vielleicht«, unterbrach ich ihn, »aber nicht für mich.«
»...jedenfalls tot«, fuhr er fort. »Und das ist entscheidend. Sie haben die Akte Mignard, nicht wahr?«
»Ja.«
»Ich wußte sofort, daß sie nicht in dem Koffer war. Wir haben da unsere Beziehungen. Ich brauche diese Papiere.«
»Das merke ich schon eine ganze Weile«, sagte ich.
»Sie können Ihnen nichts nützen«, fuhr er fort, »über kurz oder lang wird man Sie erwischen — so oder so — , und da nützen Ihnen diese Papiere gar nichts. Ich wüßte aber eine Möglichkeit, wie Sie Nutzen daraus ziehen können.«
»Ich weiß auch eine«, sagte ich, »aber wie stellen Sie sich das vor?«
Ich ließ meine Augen zum Fenster wandern. Es war nicht schwer, von unten auf dem Gerüst hochzuklettern und mich hier abzuschießen. Ich saß großartig auf dem Präsentierteller.
»Wir machen einen Tausch«, schlug er vor.
»Ausgezeichnet«, erwiderte ich, »Sie bekommen von mir die Papiere, und ich von Ihnen den Mann, der Alexandre erschoß.«
»Ihre brüderlichen Gefühle in Ehren«, meinte er, »aber lassen wir diese dumme Geschichte endlich aus dem Spiel! Man soll die Toten ruhen lassen und sich mehr um die Lebenden kümmern, finde ich. — Sie gehen in die Schweiz und...«
»In die Schweiz?«
»Ja, oder nach Holland. Sie können auch nach England oder Italien, wohin Sie wollen. Und nach zwei oder drei Monaten, wenn hier Gras über alles gewachsen ist, kommen Sie zurück. Natürlich mit erstklassigen Papieren.«
Ich beschloß,
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