Die Nacht in Issy
noch überlegte, fuhr er fort:
»Sie sagten gestern, Sie hätten sie schwarz gekauft. Woher hatten Sie das Geld?«
»Du lieber Gott, das ist doch so unwichtig. Ich hatte sie, und ich habe damit meinen Bruder erschossen, das sollte doch genügen.«
»Das genügt aber nicht«, betonte er, »und Sie sollten endlich damit aufhören, uns anzulügen.«
»Ich lüge nicht«, verwahrte ich mich, »ich habe sie wirklich irgendwoher bekommen.«
Er winkte ungeduldig ab.
»Das meine icb jetzt gar nicht, Monsieur Bouchard. Was ich Ihnen nicht glaube, ist Ihre Behauptung, Sie hätten auf Alexandre Bouchard geschossen.«
»Das glauben Sie mir nicht?« fragte ich erstaunt.
»Nein. Und ich kann Ihnen auch sagen, woher Sie die Pistole hatten.«
»So? — Da bin ich aber neugierig.«
»Die haben Sie draußen, in Issy, am Tatort gefunden.«
Ich lachte. Es ist schwer, zu lachen, wenn man dazu keinen Grund hat.
»Es sieht so aus«, sagte ich, »als ob Sie es sich zur Aufgabe gemacht hätten, mich davon zu überzeugen, daß ich kein Mörder bin.«
»Das will ich auch«, er wurde ernst, »es ist nicht unsere Aufgäbe, irgendeinen Menschen festzunehmen — es muß auch der richtige sein.«
»Also meinetwegen«, sagte ich, »dann habe ich die Pistole eben gefunden. Aber ich habe damit auf meinen Bruder geschossen.«
»Haben Sie nicht«, rief er, »merken Sie denn nicht, daß ich alles weiß?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Ich habe keine Ahnung, was Sie wissen oder nicht wissen.«
Er blickte mich durchdringend an, dann sagte er:
»Ich respektiere Ihre Haltung, Monsieur Bouchard. Wir haben heute morgen Mademoiselle Mignard verhaftet.«
Ich brauchte einige Sekunden, um das ganz zu erfassen. Germaine war verhaftet worden? Wie war das möglich? Was hatte ich falsch gemacht?
»Germaine Mignard?«
»Ja, Germaine Mignard. Die Pistole, mit der Ihr Bruder erschossen wurde, trug die Nummer B/vierunddreißig-elf. Diese Waffe wurde rechtmäßig auf Waffenschein von Monsieur Mignard erworben. Wir wußten das schon gestern morgen. Monsieur Mignard gab an, daß er nicht wisse, seit wann die Pistole nicht mehr in seinem Besitz sei; er hatte sie in seinem Schreibtisch verwahrt. Er gab zu, daß seine Tochter die Möglichkeit hatte, sich diese Waffe anzueignen. Er erklärte weiter, daß er Sie nicht kenne.«
»Und daraufhin haben Sie Germ — Mademoiselle Mignard verhaftet?«
»Wir hätten es getan, wenn sie sich nicht selbst gemeldet hätte. Sie hat ein volles Geständnis abgelegt.«
Germaine!
»Sie hatte von Ihrer Festnahme erfahren«, fuhr er fort, »und sich daraufhin sofort gemeldet.«
»Aber!« schrie ich aufgebracht, »das ist doch heller Wahnsinn! Sie liebt mich, und sie will die Strafe für mich auf sich nehmen! Glauben Sie mir, Germaine hat nicht geschossen!«
Er lächelte nur.
»Sie vergessen immer wieder die Pistole.«
Ich starrte vor mich hin und versuchte, mit der neuen Lage fertig zu werden. Nun war ich frei; es war bekannt, daß ich kein Mörder war; aber ich konnte mich nicht darüber freuen.
Was hätte ich noch vor einem Tag für dieses Wissen gegeben!
»Es besteht kein Grund«, sagte Lamin, »die Haft gegen Sie aufrechtzuerhalten. Sie sind frei, Monsieur Bouchard!«
»So«, sagte ich, »ich bin frei. Gut!«
Am liebsten hätte ich ihn gefragt, was ich nun mit meiner Freiheit anfangen sollte. Was sollte ich tun, ohne Germaine?
»Gut«, wiederholte ich, »dann bin ich also frei. Ich kann gehen?«
»Im großen ganzen, ja«, sagte er, »aber ich kann Ihnen ein Nachspiel nicht ganz ersparen.«
»Ein Nachspiel?«
»Na ja, es wird nicht allzu schlimm werden. Sie haben aber zweimal den Versuch gemacht, die Ermittlungen der Polizei zu hintertreiben. Einmal draußen in Issy, als Sie einen Unfall vortäuschten; und jetzt zum zweitenmal, weil Sie sich als den Mörder bezeichnet haben.«
Ich nickte vor mich hin. Was bedeutete das jetzt noch groß!
»Man wird Verständnis für Ihre Lage haben«, sagte er, »und man wird Ihre seelische Verfassung berücksichtigen.«
»Ja, aber Germaine? Was wird man mit Germaine machen?«
»Mademoiselle Mignard — « er machte eine ungewisse Handbewegung, »ich möchte dem Gericht nicht vorgreifen. Wenn sich ihre Darstellungen als Wahrheit erweisen, halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß man sie nur wegen Überschreitung der Notwehr belangen wird. Aber selbst eine Überschreitung der Notwehr ist straffrei, wenn sie in einem Zustand der Furcht begangen wurde.«
Ich stand
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