Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
zum Schweigen hatte bringen können.
Mickey war auf halbem Wege zwischen Wohnungstür und Ausgang, aber als sie auftauchte, zog es ihn zu ihrer Tür zurück. »Kommst du alleine zurecht?«
Sie blickte auf die sich schließende Tür am Ende des Korridors. »Ich denke schon, mach dir keine Gedanken.«
»Wenn du es dir anders überlegst, kann ich mit dem Fahrrad zurückkommen.«
»Und auf meiner Couch schlafen?« Die Frage kam schneidend heraus, voll Erinnerungen an Tyler und den falschen Trost, den bereits andere Arme versprochen hatten.
»Wo auch immer. Was auch immer.« Er sah ihr geradewegs in die Augen, während sie nachdachte, überlegte, was er wirklich anbot. Und was er dafür wollte.
»Wenn ich jemanden brauche«, sagte sie schließlich, »werde ich anrufen.« Er lächelte und beugte sich dann über sie, um sie leicht auf den Mundwinkel zu küssen.
»Um die Gespenster fernzuhalten. Bis morgen.« Er war gegangen, ehe sie etwas sagen konnte, eilte den Flur hinunter, um die Chance, mitgenommen zu werden, nicht zu verpassen.
Sara stand noch einen Augenblick im Flur und wandte sich dann dem leeren Apartment zu. Ohne den Fernseher, ohne das Gelächter ihrer Freunde hing ein Hauch von Eis über der Stille, der sie frösteln ließ. Um die Gespenster fernzuhalten … Aber wer verfolgt eigentlich wen, Ardy?, dachte sie, von plötzlichem Schmerz erfasst. Sie schloss die Tür und presste die Stirn gegen die kalte Metalloberfläche. Bist du das Gespenst, das diesen Ort hier heimsucht – oder bin ich es?
Sara träumte. Von einer weichen Stimme, die ihr ins Ohr flüsterte und sie bat, die Tür zu öffnen. In dem Traum war es völlig vernünftig, dass es sich dabei um die Balkontür handelte, und dass sie aufstand, um diese zu öffnen, um einen Splitter der Nacht hereinzulassen, der in eine im Schatten liegende Ecke des Schlafzimmers schwebte.
Sie wachte auf und fuhr hoch. Der Atem stockte ihr in der Kehle, ihr Herz schlug wie wild. Sie lag in der Dunkelheit und fragte sich, was sie geweckt hatte, plötzlich ein leises Geräusch vernehmend. Ihr Atem schien in der Finsternis widerzuhallen. Sie war fast zurück in den Schlaf gesunken, als ihr klarwurde, dass es kein Echo war.
Der Schrecken ließ ihr plötzlich ganz heiß werden, eine Hitze, gespeist von ihrem dreimal zu schnellen Herzschlag. Das uralte Dilemma der Kindheit kehrte zurück: War es besser, dem Ding, das über dem Bett aufragte, ins Auge zu sehen, oder sich unter den Laken zu verstecken und zu hoffen, dass die eigene Blindheit einem Schutz bot?
Schließlich setzte sie sich auf und sagte mit so viel vorgetäuschter Tapferkeit, wie sie aufbringen konnte: »Wer zum Teufel sind Sie?«
Der dunkle Schatten in dem Rattansessel in der Ecke bewegte sich leicht. »Es ist besser, wenn Sie das nicht wissen. Aber ich will Ihnen nichts Böses.« Die Stimme war leise, aber klar, und hatte den aufreizenden Hauch eines ausländischen Akzents an sich.
»Was wollen Sie?« Ihr Blick wurde langsam klarer. Der Schatten hatte sich in eine erkennbare menschliche Gestalt aufgelöst, obwohl das Gesicht immer noch nicht aus mehr als angedeuteten Gesichtszügen bestand.
»Ich habe Neuigkeiten von Ihrer Schwester.«
»Ardeth? Sie haben Sie gesehen? Wo ist sie?«
»Sie ist tot.«
»Ich glaube Ihnen nicht«, sagte Sara heftig.
»Ihre Schwester ist tot«, wiederholte der Mann.
»Woher wissen Sie das?«
»Ich weiß es eben.«
»Wann ist sie …?« Sie sprach die Frage nicht aus, und die Hoffnung, an die sie sich geklammert hatte, begann, sich in ihr zu entwirren und sich in der Dunkelheit in der Ecke aufzulösen.
»Vor einer Weile.« Seine Stimme klang gleichmäßig, aber plötzlich zweifelte sie an, was er sagte. Mickey hatte Ardeth erst vor drei Wochen gesehen. Sie war noch am Leben.
»Sie ist nicht tot. Jemand hat sie gesehen.« Einen Augenblick lang herrschte Schweigen.
»Das mag sein. Aber für Sie ist sie dennoch tot. Sie muss für Sie tot sein. Und Sie müssen aufhören, sie zu suchen.«
»Warum?«
»Sie bringen sie in Gefahr.«
»Wieso?«
»Die Welt muss glauben, dass sie tot ist. Sonst ist sie in großer Gefahr. Ihre Fragen, Ihre Plakate haben ihre Feinde möglicherweise bereits auf sie aufmerksam gemacht.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Lassen Sie sie in Frieden, Sara.«
»Nein. Wenn sie tot sein will ist das in Ordnung. Aber das soll sie mir selbst sagen.«
»Vielleicht werden Sie beobachtet.«
»Sie können mich nicht die ganze Zeit beobachten, wer
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