Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
würdest.« Aber ihr Sarkasmus blieb unbeachtet.
»Ich auch nicht.«
»Hast du dich wieder mit Tyler gestritten?«
»Ja. Aber können wir vielleicht drinnen darüber reden.«
»Na gut«, seufzte Ardeth und suchte nach ihren Schlüsseln. Sie bot nicht an, Sara ihr Gepäck abzunehmen, führte ihre jüngere Schwester aber zum Apartment.
»Hast du etwas zu essen hier? Ich hatte kein Abendbrot.«
»Was immer du im Kühlschrank oder im Schrank findest«, erwiderte Ardeth resigniert. Es würde noch eine Weile dauern, bis sie zum Schlafen kam, also konnte sie ebenso gut noch das eine oder andere erledigen. Sie holte ihren Terminkalender aus der Tasche und setzte sich, um ihren Terminplan für die nächste Woche zu überarbeiten.
Nach ein paar Augenblicken kam Sara mit einem Schinken-Käse-Sandwich zurück. Sie sah Ardeth über die Schulter. »Du lieber Gott, Ardeth, schreibst du eigentlich alles in deinen Terminkalender? Setzt du vielleicht auch noch für Sex einen Termin an? Ich kann’s direkt sehen. Vorspiel, 11.15 bis 11.30 Uhr.«
Ardeth atmete tief durch und bemühte sich, mit gleichmäßiger Stimme zu sprechen. »Ich bin sehr beschäftigt, Sara. Das Semester geht zu Ende. Und nein, für Sex mache ich keine Termine. Aber dafür weiß ich im Allgemeinen, mit wem ich Sex habe.«
»Das war unter die Gürtellinie.« Saras Stimme sollte locker klingen, kratzte aber nur haarscharf an Verletztheit vorbei.
»Du hast Recht. Tut mir leid. Was war denn heute Abend?«
»Als ich heimkam, habe ich Tyler dabei erwischt, wie er einen von diesen wasserstoffblonden Kleiderständern vögelte, von denen er immer sagt, sie würden ihm ›für seine Gemälde Modell stehen‹«, erklärte Sara, die ihre Stimme jetzt wieder unter Kontrolle hatte.
»Du hast ihn dieses Mal hoffentlich endgültig verlassen.«
»Jaaa.« Sie zog das Wort widerstrebend in die Länge. »Er hat mich sowieso immer zurückgehalten. Und die Jungs konnten ihn nicht ausstehen.« Sara blickte zu ihr auf. »Also, was ist, kann ich ein paar Tage bei dir auf dem Boden schlafen? «
Ardeth drehte sich in ihrem Sessel herum, um ihre jüngere Schwester anzusehen. Seit sie sie zuletzt vor etwa einem Monat gesehen hatte, hatte Sara ihr Haar wieder einmal verändert. Damals war es mahagonifarben mit einem Stich ins Lila gewesen, lang und zottelig; jetzt war es kupferfarben und oben zu einem Knoten zusammengebunden. Sie trug schwarze Hosen, spitz zulaufende, knöchelhohe Stiefel und ein weißes T-Shirt. Ihre Lederjacke lag neben ihr auf dem Boden. Das T-Shirt trug die rote Aufschrift BLACK SUN über dem stilisierten Logo der Band, ein Sonnensymbol in unheilverkündendem Schwarz. Das T-Shirt war einmal von guter Qualität gewesen – aber inzwischen war es ein paarmal zu oft gewaschen worden und die Sonne zu einem Grau verblasst. Sara besaß eine große Sammlung dieser T-Shirts – sie warben für die Band, deren Frontfrau sie war. »Die Jungs« stellten mit ihr den harten Kern der stets wechselnden Zusammensetzung der Gruppe dar. Außer ihnen konnte sich Ardeth nie irgendwelche Namen und Gesichter merken.
Ihr wurde bewusst, dass Sara sie immer noch erwartungsvoll beobachtete und auf das unvermeidliche ›Ja‹ auf ihre Frage wartete. Einen Augenblick lang wollte Ardeth Nein sagen. Zum einen hatte sie keine Lust, für Sara so etwas wie ein Hotel zu sein, ein Ort, den sie immer dann aufsuchte, wenn ihr das Geld ausging oder irgendwelche Beziehungen erkalteten. Einen Augenblick lang wollte sie sagen: »Du hast dir dein Leben vermasselt, jetzt bring es selbst wieder in Ordnung. « Aber das konnte sie nicht. Sara war alles, was ihr an Familie geblieben war.
»Klar. Meine Couch gehört dir.«
»Danke, Ardy. Du rettest mir wie üblich das Leben. Ich werd’ dir keinen Ärger machen.«
»Sagst du. Aber ich steh immer noch um sechs Uhr morgens auf. Ich habe Arbeit zu erledigen.«
»Sechs Uhr … Autsch. Wie hältst du das durch?«
»Indem ich nicht um vier Uhr morgens ins Bett gehe«, erwiderte Ardeth, aber ihr Lächeln milderte den missbilligenden Tonfall ihrer Stimme.
»Der Preis für Rock ’n Roll«, sagte Sara und zuckte die Achseln. Selbst als Kind war Ardeth beim ersten Sonnenstrahl wach und munter gewesen, während Sara, wenn man sie nicht weckte, bis mittags schlafen konnte. Manchmal fragte sich Ardeth, ob Sara sich vielleicht ihren Beruf passend zu ihrem Lebensstil ausgesucht hatte, und nicht etwa umgekehrt.
»Ist das alles, was du hast?«, fragte sie und
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