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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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und ab. Zum ersten Mal konnte Ardeth Rauch riechen, und in der Ferne glaubte sie das schwache Heulen von Sirenen hören zu können.
    An der Tür standen keine Wachen, so dass sie das Gebäude unbemerkt verlassen konnten. Als sie den Wald erreichten, wurde der Laborflügel des Hauses von den Flammen verschlungen. Rossokow blickte eine Weile auf das Feuer, das Gesicht maskenhaft und leer, dann griff Ardeth nach seinem Arm und zog ihn in den dunklen Unterschlupf des Waldes.
    Er führte sie an den Rand des Anwesens, nahe zu der Stelle, wo er und Mickey vor achtzehn Stunden über die Mauer geklettert waren. Ardeth folgte ihm stumm, dankbar dafür, dass das mühsame Manövrieren in der Dunkelheit mit Mickey und Sara, die sich hinter ihr wie Kinder an den Händen hielten, ihre volle Aufmerksamkeit erforderte. Sie wollte nicht an die Wut und die Schuldgefühle denken, die in ihr tobten und voll Ungeduld darauf warteten, zu explodieren.
    Aber als sie die Umzäunung erreichten, packte sie Rossokow am Arm. Er musterte ihr Gesicht einen Augenblick lang, sah dann Mickey an. »Warten Sie auf uns am Lieferwagen. « Ardeth sah nicht zu, wie sie über die Mauer kletterten.
    »Ardeth …«
    »Wir sind frei. Es gibt kein Havendale mehr. Wir können von vorne beginnen.« In ihrer Stimme lag ein Flehen, das sie nicht verbergen, aber auch nicht artikulieren konnte. »Dies ist die neue Welt. Kein Havendale, kein Ende wie in Paris. Keine Regeln.« Sie wollte, dass er ihr zustimmte, wollte, dass er den müden Schmerz ablegte, den sie in seinen Augen gesehen hatte, wollte, dass er ihr die Süße der Nacht und der Jagd zurückgab.
    »Es gibt immer Regeln, Kind. Althea Dale hat nach denen gelebt, die ihr Vater sie gelehrt hat. Jean-Pierre lebte nach den Regeln seiner Zeit, die besagten, dass den Mächtigen, den Reichen und den Schönen alles erlaubt war. Und du, meine dunkle Tochter, welchen Regeln bist du gefolgt, als du dich neu erschaffen hast?« Die Kritik in seiner Stimme brannte, trotz seines sanften Tonfalls, und sie trat einen Schritt von ihm zurück.
    »Du hast mich verlassen. Wie sollte ich wissen, was man tut? Wie sollte ich wissen, wie man ein Vampir ist? Ich habe das Beste gegeben, was ich konnte.«
    »Ich weiß. Und du bist alles, was ein Vampir sein soll – du bist schön, verführerisch, tödlich. Wäre ich sterblich, würde ich dir zu Füßen liegen und mich von dir austrinken lassen.«
    »Lach nicht über mich!« Der Gedanke, dass er sich über sie lustig machte, weil sie so zu tun versuchte, als könnte sie das sein, was er gesagt hatte, zerriss ihr das Herz. Sie war an der Mauer, als er sie einholte.
    »Ich lache nicht über dich, Liebste, glaub mir. Du hast mit all deinen Anklagen Recht. Ich habe dein Leben aus dir gesaugt und dich alleingelassen, und das in den gefährlichsten Monaten in der Existenz unserer Art. Du hast es großartig gemacht. Aber ich frage mich, was siehst du, wenn du in den Spiegel blickst?«
    »Ich sehe, was ich bin.« Sie konnte ihn nicht anschauen, als sie sich an die Augenblicke ihres Schmerzes in dem Kirchturm vor einer Nacht erinnerte, an Saras erschreckten Ausdruck, an ihre eigene Angst, den Panzer ihres neuen Ichs zu verlieren.
    »Du siehst einen Vampir. Nur einen Vampir. Ardeth, liebst du mich?« Die Plötzlichkeit der Frage raubte ihr den Atem, schockierte sie so, dass sie wieder in seine Augen blickte.
    »Ja.«
    »Liebst du meine Zähne, mein totes Fleisch, meine roten Augen, meinen Hunger nach Blut?«
    »Nein … ja … ich weiß nicht, was du meinst. Diese Dinge sind alle Teil von dir.«
    »Teil von mir, ja. Aber nicht alles, was ich bin. Fünf Jahrhunderte lang habe ich mich abgemüht, dass das die Wahrheit bleibt.« Er nahm ihr Gesicht in seine Hände. »In Paris war ich ein Vampir. Ich bin darin ertrunken, in allem, was es für mich bedeutete. Jean-Pierre war trotz all seines Charmes nie etwas anderes als ein Vampir gewesen, selbst als er noch am Leben war. In Toronto, vor hundert Jahren, war ich lediglich ein Vampir, zu sehr von Angst gepeinigt, um hoffen zu dürfen, je etwas anderes zu sein. In der Irrenanstalt war ich ein Vampir. Sie zwangen mich, das zu sein … und nur das. Bis du kamst. Und jetzt … jetzt werde ich mich mit aller Kraft bemühen, wieder Dimitri Rossokow zu sein, der Bach liebt und Liszt verabscheut, der sich fragt, was die Sterne erschaffen hat, der die Sonne und den Wodka vermisst, der Blut nur auf die Weise braucht wie andere Menschen Nahrung. Und das ist es,

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