Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
was ich will, dass du lieben lernst. Das ist es, was ich möchte, dass du bist.«
»Das ist nicht einfach.«
»Nein. Es ist das Schwerste, was es für uns gibt. Aber wenn wir es nicht versuchen, hat uns dann die Unsterblichkeit zu mehr als nur Tieren in einem ewigen Dschungel gemacht, die sich von den anderen lediglich dadurch unterscheiden, dass sie nicht sterben? Was ist dann der Unterschied zwischen Althea Dale und uns?«
»Was ich getan habe …«, begann sie mit bebender Stimme und dachte wieder an die Toten, die sie am Straßenrand und im Rinnstein und zerschmettert auf verrottenden Dielen zurückgelassen hatte.
»… ist geschehen. Genau wie die Frauen, die ich in der Irrenanstalt getötet habe. Unsere Schuldgefühle werden sie nicht zurückbringen, und unser Leid auch nicht. Wir können jetzt nur versuchen, einen Weg zu finden, zu überleben. Einen Weg, der nicht im Wahnsinn endet.«
Sie seufzte und legte ihre Stirn an die seine, ihre Hände spielten mit seinem Haar. Dann atmete sie tief durch. »Vielleicht … war es schwer . . . die ganze Zeit … so vampirisch zu sein. Aber ich dachte, ich müsste das. Ich dachte, ich wollte es.« Zu ihrer Überraschung ertappte sie sich dabei, wie sie leise vor sich hinlachte. Sie griff ihm mit beiden Händen ins Haar und legte den Kopf etwas zurück, um ihn anzusehen. »Du verlässt mich nicht.«
»Ich mache keine Versprechungen. Aber ich werde dich jetzt nicht verlassen.« Dann küsste er sie, und etwas in ihr öffnete sich, so wie in der letzten Nacht in dem Verlies. Nach einer Weile ließ er sie los. »Wir sollten jetzt besser gehen.«
Ardeth lächelte und folgte ihm über die Mauer.
Als sie um den Lieferwagen herumgingen, fanden sie Sara und Mickey zwischen den offenen Türen sitzend – sie lösten sich gerade aus einer Umarmung. Ardeth sah ihrer Schwester in die Augen und lächelte, wollte über Saras schuldbewussten Blick lachen. Nur zu, kleine Schwester, du verdienst ihn – du verdienst einen Mann, der sich um deinetwillen mit Vampiren und Mördern und Alpträumen anlegt.
»Alles erledigt?«, fragte Mickey.
»Ja«, erwiderte Rossokow, und für den Augenblick war Ardeth willens, ihm zu glauben.
Epilog
Als der Morgen dämmerte, verließen die ersten Löschfahrzeuge das Dale-Anwesen, gefolgt von den schwarz und weiß lackierten Polizeiwagen, die vor sechs Stunden eingetroffen waren. Die Ambulanzen waren die Letzten in der Prozession, und ihre Lichter waren so tot und reglos wie ihre verkohlte Fracht.
Das Haus war nur noch eine Ruine, das Dach vollständig abgebrannt. Die steinernen Mauern standen noch, aber auch sie waren angesengt und vom Ruß geschwärzt. Das Innere des Hauses war völlig ausgebrannt. Sobald das Feuer die sterilen Grenzen des Labors übersprungen hatte, hatte es das alternde Holz verschlungen, welches fünf Generationen von Dales behütet hatte. Vom Rücksitz des Polizeiwagens beobachtete Lisa Takara, wie die an der Brandstelle zurückgebliebenen Ermittler anfingen, die noch schwelenden Überreste mit gelbem Band zu umwickeln.
Bis jetzt waren sie freundlich zu ihr gewesen, hatten ihre stockenden Antworten und ihre ausdruckslose Passivität dem Schock zugeschrieben, den sie ohne Zweifel erlitten hatte. Bis jetzt hatte sie ihnen nur die Wahrheit gesagt – dass sie alleine aus dem Labor geflohen war, als offenkundig wurde, dass Martinez und Parkinson es nicht verlassen würden. Dass sie sich aus Angst vor den verwirrten Wächtern, die jetzt verschwunden waren, im Wald versteckt hatte. Dass sie keine Ahnung hatte, was im Rest des Hauses vorgefallen war.
Aber über kurz oder lang würde die Polizei mehr wissen wollen. Sie brauchte die Sicherheit, welche die Besorgnis der anderen ihr gewährleistete, brauchte Zeit zum Nachdenken. Wenn sie ihnen den Rest der Wahrheit erzählte, konnte das für sie nur zweierlei Konsequenzen haben – beide unerträglich. Ein diskreter Aufenthalt in einer Psychiatrie »zu ihrem eigenen Besten« und das Ende ihrer Karriere in der Welt der Wissenschaft, falls man ihr nicht glaubte. Und wenn man ihr glaubte, würde Havendale sich wiederholen, nur die Namen würden sich ändern. Sie würde dann mehr als nur ihren professionellen Ruf verlieren . . . ihre Freiheit. Und sie – die Frau, deren schreckliche Geschichte sie belauscht hatte, und der Mann, der ihr Leben in der Hand gehalten und sie verschont hatte – würden das ebenfalls tun.
Endlich verschwand das Haus hinter den Bäumen. Sie drehte sich im
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