Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
Vom Netzwerk:
gefährlich, seufzte der Weizen ihr zu. Na und, flüsterte ihr Bewusstsein zurück. Das bin ich auch.
    Er hieß Gord. Er war auf dem Rückweg in seine kleine Ortschaft, nach einem Wochenende, das er zu Besuch bei Freunden verbracht hatte. »Bloß gefeiert«, hatte er gesagt und ihren Füßen dann zwischen den zwei leeren und den vier vollen Bierdosen auf dem Boden Platz gemacht. Er war ein paar Jahre jünger als sie. Sein zottiges braunes Haar unter der Baseballkappe sah aus, als könnte es eine Wäsche vertragen, und seine Kleidung – ein zerdrücktes T-Shirt, ausgeblichene Jeans und ein schweres Flanellhemd – machte den Eindruck, als ob er darin geschlafen hätte.
    In dem Truck roch es nach abgestandenem Bier und Zigaretten. Einen Augenblick lang stieg die Erinnerung in ihr auf, ließ alte Gefühle in ihr aufleben: Der raue Teppichboden in dem Van an ihrer Wange, die Schmerzen in ihren gefesselten Handgelenken, ihre Wimpern an dem Tuchfetzen, den man ihr über die Augen gebunden hatte. Sie ballte die Fäuste, so dass ihre Nägel sich in ihre Haut bohrten, und tauchte in der dunklen Prärienacht wieder aus ihren Erinnerungen auf. Dann kurbelte sie das Fenster ein wenig herunter und atmete die kühle Nachtluft ein.
    Denk nicht daran, redete sie sich ein. Wenn sie an die Entführung dachte, würde sie auch an ihre Gefangenschaft in dem dunklen Verließ denken. Und wenn sie daran dachte, würde sie an Rossokow denken.
    »Rauchst du?« Die Stimme riss sie aus ihren Gedanken und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Mann neben ihr. Eine Zigarette baumelte zwischen seinen Lippen, und er streckte ihr das Päckchen hin.
    »Nein«, antwortete sie schnell und war ihm dankbar dafür, dass er sie abgelenkt hatte. »Aber mich stört’s nicht.«
    »Kannst auch ein Bier haben, wenn du magst.«
    »Nein, im Moment nicht, danke.«
    Er stellte ihr oberflächliche Fragen und schien überhaupt nicht zu argwöhnen, dass die meisten Antworten, die sie ihm gab, Lügen waren. Dann verstummte er und suchte Zuflucht in dem lauten Plärren von Guns N’ Roses aus den billigen Boxen. Ardeth sah zum Fenster hinaus und betrachtete das Wogen der Felder im Mondschein.
    Das Abrollgeräusch der Reifen änderte sich, als sie den Highway verließen, und ließ sie ruckartig aufwachen. Wo bin ich?, fragte sie sich kurz verwirrt und hob den Kopf von der Fensterscheibe. Sie atmete abgestandene, rauchige Luft ein. Sie musste eingeschlafen sein, von der endlosen eintönigen Szenerie in den Schlaf gelullt. Dann wusste sie es wieder: der Highway, der Pick-up und der Weizen, der seine Warnung seufzte.
    Sie drehte langsam den Kopf nach links und sah Gord an. Er blickte verstohlen zu ihr herüber. Sie sah, wie er seinen Zigarettenstummel durch das offene Fenster hinausschnippte. »Wo sind wir?«
    »Bloß eine Abkürzung, weißt du …«
    »Eine Abkürzung«, wiederholte sie und dachte an den Highway, der quer durch die Provinz verlief, zielstrebig und weder von Seen noch Bergen behindert. Etwas, das vielleicht ein Lachen hätte werden können, stieg in ihr auf, aber sie biss die Zähne zusammen, um es nicht zum Ausbruch kommen zu lassen.
    »Magst du jetzt ein Bier?« Gords Stimme klang dünn und nervös, obwohl er sie etwas anheben musste, um ein jammerndes Gitarrensolo zu übertönen.
    »Ich trinke kein Bier«, antwortete Ardeth und musste wieder ihr wildes Gelächter hinunterschlucken.
    Der Kies unter den Rädern ging in die raue Oberfläche eines Feldwegs über, und dann ließen ausgefahrene Rinnen den Truck schwanken. »Nette Abkürzung«, stellte sie fest und sah durch das Fenster auf das endlose Meer aus Getreide hinaus, das sie umgab. Der Pick-up kam ruckartig zum Stehen, und sie sah zu Gord hinüber. Seine Hände umklammerten das Steuer. »Warum halten wir an?«
    »Du hast’s doch nicht eilig, oder?«, fragte er, beinahe so, als wolle er sich entschuldigen, aber sie konnte darunter eine dunkle Strömung von Zorn hören, und die noch dunkleren Felsbrocken der Erwartung dahinter.
    »Lass uns ’ne kleine Pause einlegen, du weißt schon. Einen Schluck trinken, ’ne kleine Party.« Es wäre leicht, dem zuzustimmen. Sie brauchte bloß zu lächeln und zu nicken und abzuwarten, bis er sich wieder genügend Mut angetrunken hatte. Und sich dann von ihm küssen und berühren lassen und dann ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen, lange bevor er zu den seinen kam. Sie könnte ihm sogar genug Kraft lassen, um sie in die nächste Stadt zu fahren. Sein Blut würde so

Weitere Kostenlose Bücher