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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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bewusstwurde, welche Kraft in ihrer Hand lag. Dann lockerten sich seine Muskeln, und sie ließ ihn los.
    Sie schloss die Tür, ging ans Fenster und zog die dunklen Vorhänge beiseite. Der Mond stand über den Bäumen, und sie lehnte sich einen Augenblick lang dem fahlen silbernen Licht entgegen. In Märchen und Legenden ist der Mond immer ein weibliches Wesen, dachte sie, ein Wesen, das mit Blut und Gezeiten und dem finsteren Drängen der Seele in Verbindung steht. Wenn das zutrifft, dann sollte die Mondgöttin verstehen, was ich jetzt tue. Sie sollte es segnen.
    Sie wandte sich vom Fenster ab. Yamagata stand an der Tür, wo ihn das Mondlicht nicht erreichen konnte, aber sie konnte ihn ganz deutlich erkennen. Er sah gut aus, wenn auch auf eine fremdartige, steife Art und Weise. Die deutlich hervorstehenden Wangenknochen und sein kantiges Kinn verliehen seinem Gesicht Charakter. Sein Haar war ganz kurzgeschnitten, fast abrasiert. In der Dunkelheit konnte sie die feinen Fältchen um seine Augen und seine Mundwinkel nicht sehen. Er war älter als sie, vermutete sie, aber höchstens zehn Jahre. Er hat ein Gesicht, das zu einem Gangster passt, dachte sie, aber ebenso gut könnte man es sich als das Gesicht eines Zen-Priesters vorstellen.
    Ein Gefühl der Macht wallte in ihr auf, und das Wissen, dass sie die Situation völlig beherrschte, ließ in ihr ein belebendes und zugleich schuldbewusstes Prickeln aufkommen. Es war lange her, zu lange, dass sie so etwas empfunden hatte.
    Dies würde ihre Rache sein, die vollkommenste Vergeltung, die sie sich vorstellen konnte. Sie hatte Mark aufgegeben, während Rossokow all das, was sie sich gegenseitig gelobt hatten, um einer anonymen, nichtssagenden Nahrungsaufnahme willen verraten hatte. Ihre Nahrungsaufnahme in Toronto war ebenso fad und banal gewesen, etwas, das von trunkenen Träumen und physischem Bedürfnis gesteuert worden war. Aber Yamagata … Yamagata war alles andere als anonym. Yamagata hatte ein Gesicht und einen Namen, dachte sie mit einem leichten Lächeln. Ein Gesicht und ein Name, der Rossokow eine Ewigkeit lang daran erinnern würde, dass er sie nicht verlassen und ihr keine Befehle erteilen durfte.
    Eine Ewigkeit lang … einen Augenblick lang wurde ihr bei dem Gedanken ganz kalt. Sie wusste überhaupt nichts über Yamagata, nichts, was über das hinausging, was sie gerade in dem Raum im Erdgeschoss miterlebt hatte. Er war ein gefährlicher Mann, und er würde ein gefährlicher Vampir sein. Vielleicht sogar für sie gefährlich.
    Aber für solche Gedanken war es jetzt zu spät, das wusste sie. Außerdem hatte Fujiwara gedacht, dass er würdig sei, verwandelt zu werden. Yamagata hatte gesagt, dass er nach der Verwandlung nach Japan zurückkehren würde. Er stellte also für sie in keiner Weise eine Bedrohung dar.
    Sie sah ihn an. Er würde sein Blut nicht geben, ohne es zu wissen. Es würde nicht notwendig sein, in ihm Vergessen für das erzeugen, was sie von ihm nahm. Er wollte das, was sie geben konnte. Und er hatte bereits unter Beweis gestellt, dass er alles dafür geben würde, es zu bekommen. Alles.
    »Legen Sie Ihre Kleider ab«, sagte sie mit weicher Stimme. Sie konnte in seinem kantigen Gesicht eine Andeutung seiner Empfindungen lesen: Zorn im Zucken seiner Oberlippe, Überraschung in den Augenbrauen, die sich ein wenig hochschoben, Begehren in den sich verengenden Augen.
    »Ist es üblich, es so zu machen?«
    »Ich mache es so. Sonst können Sie es ja auch bleiben lassen. «
    Nach einem kurzem Zögern zuckte er die Achseln und begann, ihrer Aufforderung nachzukommen. Seine Bewegungen waren einstudiert und langsam. Er legte sein Jackett sorgfältig über eine Stuhllehne und legte dann Hose und Hemd mit der gleichen Sorgfalt auf die Sitzfläche des Stuhls. Sein Körper war muskulös und durchtrainiert, und als er ins Mondlicht trat, hielt Ardeth überrascht den Atem an. Seine Oberarme und Schultern waren ebenso wie seine Hüften und Gesäßbacken mit Tätowierungen bedeckt. Ein Glühen schien von ihnen auszugehen. Sie wirkten wie ein Brokatteppich aus Farben und Mustern, die sich veränderten, wenn er sich bewegte. Plötzlich zuckte es in ihren Fingern, sie wollte die Tätowierungen berühren, die Linien auf seiner Haut nachzeichnen.
    Yamagata stand da, sah sie an und wirkte noch ebenso selbstbewusst, wie er das im angezogenen Zustand gewesen war. Ardeth trat näher und legte die Hand auf seine Brust, zwischen der untersten Linie seiner Tätowierung und

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