Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
nichts Substanzielles, was mir bei meiner Suche helfen könnte. Aber in älteren Werken habe ich ein paar Hinweise gefunden, die es wert sind, dass man sie weiterverfolgt. Es gibt Berichte von unsterblichen Alchemisten, wie den berüchtigten St. Germain, und deshalb habe ich eine Untersuchung der Frachtbriefe unserer Zug- und Schifffahrtslinien eingeleitet, um nach jenen Ingredienzien zu suchen, die für solche Arbeit importiert werden müssen. Gewisse Vorgänge in Paris, die zwanzig Jahre zurückliegen, deuten auf einen russischen Adeligen hin, und meine Agenten auf dem Kontinent sind dort gemeinsam mit den Behörden darum bemüht, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Henry macht sich natürlich darüber lustig und bezeichnet es als törichte Vergeudung unserer Mittel. Er bedrängt mich nach wie vor, unsere Geschäfte mit Mühlen und Schifffahrtslinien auszuweiten, und will mich davon überzeugen, eine der in Not geratenen Finanzgesellschaften in der Stadt zu erwerben. Er glaubt natürlich, dass ich nichts über seine anderen Machenschaften weiß – und über die ›Maschinen‹, die er sowohl an die Amerikaner als auch an die Spanier zum Einsatz in ihrem Krieg verkauft. Wir geben vor, über die Geschäfte des anderen jeweils nicht Bescheid zu wissen – und es ist auch besser so.
Carstairs hat mir gerade einen Brief meines Berliner Agenten vorgelegt. Er enthält eine Liste mit Namen von Männern, die dort mit Zauberei und Mord in Verbindung gebracht wurden, und dazu historische Hinweise auf Vampirismus, soweit er sie hat in Erfahrung bringen können. Ganze vierzig Namen – aber das ist besser als vierhundert. Ich werde Collins kommen lassen und dafür sorgen, dass seine Männer in Toronto die Suche nach Trägern dieser Namen aufnehmen.
Carstairs ist wieder da – der Arzt erwartet mich im Salon. Wenn er sich wieder über meinen unregelmäßigen Herzrhythmus auslässt, wie er das immer tut, werde ich mir Mühe geben müssen, nicht zu lachen. Wessen Herz würde schließlich nicht schneller schlagen, wenn das, wonach es sich sehnt, in so greifbare Nähe gerückt ist?
16
Sie ging nach Hause. Sie wusste nicht, was sie sonst hätte tun sollen.
Die Wohnung war dunkel und still, so wie sie sie vor einer Woche verlassen hatte. Ardeth schaltete die Flurbeleuchtung an und sah sich um. Alles wirkte vertraut, ihre Bücher, ihre Möbel, die im Flur verstreuten Schuhe. Aber nichts fühlte sich mehr so an, als gehöre es ihr. Es war, als stünde sie in einer der Musterwohnungen, wie sie häufig eingerichtet werden, um Möbel auszustellen und zugleich die Vorstellung irgendeines Innenarchitekten von persönlichem Wohnstil aufzuzeigen. Alle Möbelstücke standen dort, wo sie hingehörten, aber es lebte niemand dort.
Sie ging ins Schlafzimmer und sah einen Augenblick lang auf ihr ungemachtes Bett. Sollte sie versuchen, hier zu schlafen, wenn es dämmerte? »Geh nicht nach Hause«, hatte Rossokow gesagt. Sie spürte, wie der Zorn in ihr aufstieg und ein bitterer Geschmack in ihren Mund trat. Du hast mich alleingelassen, dachte sie anklagend in die Dunkelheit hinein, die sie umgab. Du hast mich verlassen. Er hatte Gründe dafür, das wusste sie, und sie waren alle legitim. Aber der Zorn fühlte sich besser an als die verlorene Leere, und sie klammerte sich an ihm fest und ließ zu, dass er sich wohltuend um ihr Herz legte.
Sie konnte nicht hierbleiben. In einem hatte Rossokow Recht gehabt – wer immer hinter all dem stand, durfte nie erfahren, dass sie nicht an jenem Ort gestorben war. Sie musste jede Spur ihres früheren Ichs hinter sich lassen. Das würde nicht schwer sein. »Wir sind, wer wir waren«, hatte Rossokow gesagt. Aber ich brauche das nicht zu sein, dachte sie trotzig. Ich kann alles sein, was ich will – und ich will nicht länger sie sein.
Sie sah sich in dem schwach beleuchteten Zimmer um und erblickte einen Teil ihres Spiegelbilds im Spiegel. Diese Sache mit dem fehlenden Spiegelbild war also, wie es schien, auch nur ein Mythos. Sie trat vor, um sich genauer in Augenschein zu nehmen. Ihr Haar war wirr und schmutzig, und am Kragen ihres gestohlenen Hemds prangte ein dunkler Blutfleck. Ihr Gesicht wirkte schmaler, und ihre Wangenknochen zeichneten sich jetzt ganz deutlich ab, wo sie früher nur ihr Profil unterstrichen hatten. Ihre Augen waren immer noch braun, aber der Rotanteil war dunkler geworden. Sie würden das rote Licht brechen, so wie die von Rossokow es getan hatten.
Aber sie sah immer noch wie
Weitere Kostenlose Bücher