Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
Krocket spielten und an ihren Teetassen nippten – eine Vision, die sich gespenstisch über das dicht wuchernde Unkraut und Buschwerk legte.
Er fluchte leise. Gespenster … Herrgott! So durfte man diese Sache nicht angehen. Er hatte den ganzen verrückten Plan von Anfang an als eine ganz gewöhnliche Geschäftsangelegenheit betrachtet. Ob er nun daran glaubte oder nicht war ohne Belang – Althea Dale glaubte daran. Und die erste Lektion, die er sich eingeprägt hatte, als er Leiter der Abteilung für Sonderprojekte bei Havendale geworden war, bestand darin, dass das, was Althea Dale glaubte, die Wirklichkeit war.
Die Abteilung für Sonderprojekte stand ganz oben in der Rangfolge, knapp unter der Präsidentschaft oder dem Aufsichtsrat. Höher konnte man in der Firmenstruktur praktisch nicht kommen. Und was den Status anging, so schien es keinem etwas auszumachen, dass niemand genau wusste, was die Abteilung für Sonderprojekte eigentlich machte.
Niemand in den normalen Bereichen der Firma.
Für die Schattenhierarchie unter der Oberfläche von Havendale war die Abteilung für Sonderprojekte ebenfalls ganz oben angesiedelt. Wer auch immer den Bereich Sonderprojekte leitete, erhielt seine Anweisungen von Althea Dale persönlich. Wer immer die Abteilung führte, erteilte wiederum die Anweisungen, die das Rauschgift, die Waffen und das Geld bewegten, die Havendales anderes Geschäft darstellten. Und seit einem Jahr war der Mann, der diese Sonderprojekte leitete, Martin Rooke.
Natürlich war es durchaus möglich, dass er das nach dem heutigen Tage nicht mehr sein würde.
Er hielt auf der kreisförmigen Zufahrt an, direkt vor der Natursteintreppe. Von hier aus war nur das rote Ziegeldach des Familiensitzes der Dales zu sehen. Wie eine Schlange mit blutigen Schuppen lag es über der flachen Hügelkuppe. Rooke stieg die Treppe hinauf und machte sich wieder einmal klar, wie still es hier war. Der Wald, der das Anwesen umgab, verschluckte jeglichen Straßenlärm, alle Stimmen, alle Geräusche, die verraten könnten, dass die Villa aus dem neunzehnten Jahrhundert von Reihenhausanlagen aus dem zwanzigsten Jahrhundert umgeben war.
Die grauen Steingebäude und die lange, flache Bauweise ließen das Haus wie eine alte Steinmauer erscheinen, die sich über die Anhöhe erstreckte, als würde sie etwas bewachen. Aber Rooke wusste, dass es hinter dem Haus nur einen alten, leeren Swimmingpool und einen unbenutzten Tennisplatz gab. Vielleicht befand sich das, was die Mauer bewachte, auch im Inneren des Hauses, dachte er. Die Dales verfügten über eine ganze Reihe von Geheimnissen.
Als er den schweren schmiedeeisernen Klopfer zum zweiten Mal betätigte, öffnete die ältliche Hausdame. »Miss Dale wartet im Büro auf sie«, sagte sie langsam und drehte sich dann um, um ihn durch den dunklen Flur zu führen. Er schluckte seine Bemerkung, dass er den Weg kenne, hinunter. Er wusste, dass sie sie nicht im Geringsten zur Kenntnis nehmen würde. Er war im Dale-Haus noch nie unbegleitet irgendwohin gegangen.
Das Innere des Hauses war wie ein Echo der Außenansicht – die moderne Welt war hier kaum angekommen. Die Beleuchtung im Flur war elektrisch, aber schwere gelbe Lampenschirme filterten den Lichtschein, den die dunkle Vertäfelung und die Tapeten förmlich in sich aufsogen. Porträts säumten die Wände. Fünf Generationen von Dales blickten auf ihn herab, angefangen bei dem alten backenbärtigen Archer bis hin zu Arthur im konservativen Straßenanzug. Rooke unterdrückte ein Grinsen, als er das letzte Porträt passierte. Man sah es ihm nicht an, dass der alte Arthur dem Gerücht nach sein Erdenleben auf Art von Howard Hughes beendet hatte, als paranoider Einsiedler mit zehn Zentimeter langen Fingernägeln und eigenwilligen Vorstellungen von Körperpflege. Dafür hatte er aber einen Ruf für geschäftliche Schläue besessen, er dafür gesorgt hatte, dass niemand einen Gedanken an seine Exzentrizität verschwendete. Auch andere Gerüchte gab es: Man wisperte von Frauen, die in dunklen Limousinen auf das Anwesen gebracht und gut dafür bezahlt wurden, dass sie nicht darüber redeten, und noch ältere Geschichten berichteten über mysteriöse Unfälle von Leuten, die sich Arthur Dales Wünschen widersetzt hatten.
Von Althea Dale gab es noch kein Porträt. Sie sollte bald eines anfertigen lassen, dachte Rooke sarkastisch, ehe sie noch verrückter wird als ihr Daddy. In geschäftlichen Dingen mochte sie so schlau wie ein Fuchs sein
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