Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
Nachtcafé besorgt, die neue, tote Ardeth würde das Beste aus der Wiedergeburt machen, die ihr dargeboten worden war.
Sie schaltete das Licht aus, schlüpfte durch die Apartmenttür nach draußen und sperrte sie hinter sich ab. Auf der Straße ging sie in Richtung Süden auf den hellen Schein der Innenstadt zu. Dort lebte die nächtliche Stadt. Und sie würde das auch tun.
Am Rande von Chinatown fand sie ein verlassenes Haus. Ardeth verweilte einen Augenblick lang auf dem Bürgersteig und musterte die dunklen Häuser, die es umgaben, dann zwängte sie sich zwischen den wuchernden Hecken hindurch und ging auf das Haus zu. Sämtliche Fenster waren mit Brettern vernagelt, und auf einigen der Bretter konnte sie geheimnisvolle Graffiti erkennen. Sie ging den schmalen Gang zwischen zwei Häusern hindurch, stieg über zerbrochene Dachziegel und auf dem Boden herumliegenden Müll. Ahornbäume ragten über den ebenfalls mit Gestrüpp überwucherten Garten auf, und am hinteren Teil des Hauses drängten sich beschützend Fliederbüsche.
Sie schob die Büsche auseinander und fand das Fenster mit Brettern vernagelt, so wie die anderen auch. Hast du geglaubt, sie würden es für dich offen lassen?, fragte sie sich sarkastisch. Sie strich mit den Fingerspitzen über das Holz und fand den kühlen Eisenkopf eines Nagels. Der Fensterrahmen muss aus Holz sein, dachte sie und fand einen schmalen Spalt zwischen den Brettern und dem Mauerwerk, das das Fenster umgab. Sie schob die Finger in den Spalt und zerrte an dem Holz, lehnte sich nach hinten in die Büsche, bis sie spürte, dass das Brett unter ihren Fingern nachgab.
»Scheiße«, zischte Ardeth, als ihr dabei ein Fingernagel abbrach. Sie steckte den schmerzenden Finger für einen Augenblick in den Mund und riss dann das nächste Brett ab. Schließlich hatte sie ein Loch, das groß genug war, um sich durchzuzwängen. Sie nahm die zersplitterten Bretter mit und lehnte sie von innen ans Fenster, um damit das Loch, das sie aufgerissen hatte, etwas zu kaschieren.
Nachdem sie ihre Tarnung inspiziert hatte, richtete sie sich auf und sah sich um. Sie hatte erwartet, das Haus leer vorzufinden, aber in dem Raum standen eine Couch und ein Sessel, beide verstaubt und verlassen. Im Zimmer nebenan fand sie einen Tisch und vier Stühle, so als erwarteten sie, dass die Besitzer jeden Augenblick zurückkämen. Einer stand etwas schief, als hätte jemand ihn vom Tisch weggestoßen, um aufzustehen. Einen Augenblick lang erstarrte Ardeth, fürchtete, dass sich noch jemand im Haus aufhielt. Sie lauschte, setzte tastend die neuen Sinne ein, die sie noch kaum beherrschte. Aber da war nichts, nur Stille und Staub.
Sie fröstelte und ging ins nächste Zimmer. Ich könnte nach oben gehen, dachte sie. Da waren vielleicht Betten, warteten auf sie wie in einem Märchen. Aber die Vorstellung, in muffige, verstaubte Laken zu sinken, widerte sie an, und die oberen Stockwerke muteten ihr irgendwie gefährlich an.
Der Keller hingegen schien ihr sicher. Er war nicht ganz fertiggestellt und hatte eine niedrige Decke, aber die feuchte Kühle dort schien nicht durch ihre neue Haut zu dringen, und das Gewicht des Hauses über ihr wirkte eigenartig behaglich. Niemand wird hierherkommen, sagte sie sich. Selbst wenn jemand anderer, Kinder oder Hausbesetzer, in das Haus einbrechen würden, wird niemand nach hier unten kommen.
Sie fand eine enge Nische hinter der toten Heizungsanlage, rollte sich dort zusammen und legte sich Roias’ Jacke als Kissen unter den Kopf. Sie fragte sich, wo Rossokow wohl sein mochte, wo er Unterschlupf gefunden hatte. »Du wirst schon sehen«, flüsterte sie trotzig in die Finsternis und presste sich die Arme über die Brust, um die plötzliche Leere festzuhalten, die sie erfüllte.
17
Die eisernen Torflügel schwangen vor ihm auf, als wäre der Name, den er ins Display gesprochen hatte, ein geheimes Losungswort gewesen. Martin Rooke lenkte den Mercedes auf die Straße, die in das Tal des Dale-Anwesens hinunterführte. Seine Hände ruhten auf dem Steuer – das Zittern hatte aufgehört, als er den Highway erreicht hatte.
Der Wagen glitt unter den überhängenden Ästen der mächtigen Bäume dahin und rollte schließlich ins helle Sonnenlicht. Einmal müssen hier Rasenflächen gewesen sein, dachte er und zuckte zusammen, als der Zweig eines Dornbusches an der Wagenflanke entlangkratzte. Und Gärten. Plötzlich drängte sich ihm eine Vision von weiß gekleideten Gestalten auf, die
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