Die Nacht von Granada
erfolgreich besiegt.
Jetzt jedoch erschien Lucia die Freundin so unerreichbar wie der Mond.
Sie spürte die Tränen, die sich in ihre Augen drängen wollten, und wehrte sich dagegen, so gut sie konnte. Hatte Nuri nicht hier ebenso ausharren müssen – tagelang?
Sie war Lucia Álvarez, die schon so weit gekommen war. Sie konnte, sie durfte jetzt nicht aufgeben!
Für ein paar Augenblicke spürte sie Reste der alten Stärke. Tante Pilar würde nicht zulassen, dass ihr etwas zustieß, ebenso wenig wie Padre Manolo, der sie stets unterstützt hatte. Und auch der Vater, sobald er sich nur ein wenig von den Strapazen der Haft erholt hätte.
Aber Rashid …
Sie hätte nicht an ihn denken dürfen und hasste sich dafür, dass es doch geschehen war, denn nun fiel das letzte bisschen Kraft, das ihr noch geblieben war, wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Warum nur hatten sie nicht auf seine Einwände gehört?
Er war von Anfang an dagegen gewesen, den Stein fertig zu schleifen und den Ring zu schmieden, um beides dem Inquisitor zu übergeben und ihn damit zur Aufgabe seines heimtückischen Plans zu nötigen, doch keiner von ihnen hatte auf ihn hören wollen.
Ob er sie suchte?
Oder war er inzwischen ganz und gar mit den Vorbereitungen des Aufstands beschäftigt und hatte dafür keine Zeit?
Als etwas Lebendiges ihren Knöchel streifte, schrie Lucia schrill auf – Ratten! Schon beim letzten Licht hatte sie einige von ihnen umherhuschen sehen. Auch waren ihr die Eisenfesseln für Hände und Füße aufgefallen, die mit rostigen Eisenketten tief in der Wand verankert waren.
Jetzt stürzten alle Albträume auf einmal auf sie ein.
Kamal hatte man seine Schneidehand zertrümmert, um ihn zu einem Geständnis zu zwingen, obwohl Lucero doch genau wusste, dass er den Stein gar nicht haben konnte.
Was würde man ihr nehmen?
Einen Arm? Die Beine? Das Augenlicht?
Lucia hob die Fäuste und schlug gegen den harten Fels, wieder und wieder, bis sie zu bluten begannen.
Dann fing sie an, haltlos zu weinen.
Umhang und Kleid der Königin waren blutrot. Nur den Saum zierte eine Borte aus breitem nachtschwarzem Samt. Ihre Hofnärrin, keine zwei Schritte von ihr entfernt, trug dieselbe Robe, doch das Miniaturformat, das für ihre gedrungene Gestalt notwendig war, ließ es an ihr eher wie ein lächerliches Mummenkostüm* wirken.
Isabella von Spanien hielt eine brennende Fackel in der rechten Hand. Dolores, die Zwergin, die man vor langen Jahren in der Christnacht als halbtoten Säugling vor der Kathedrale gefunden hatte, trug eine wesentlich kleinere Fackel.
Ein Stück entfernt stand mit unbewegtem Gesicht Francisco Jiménez de Cisneros, barfüßig in abgelaufenen Sandalen, wie immer in seine Büßerkutte gehüllt. Nicht einmal in dieser kalten Nacht wärmten ihn Filz oder Fell als Umhang. Er stützte sich schwer auf seinen Bischofstab, den vielleicht merkwürdigsten, den die Christenheit jemals zu Gesicht bekommen hatte, denn sein unterer Part bestand aus einem wurmstichigen Pilgerstab, während sein oberer Teil aus dem Szepter von Boabdil, des letzten maurischen Königs von Granada gefertigt war.
Er schaute zur Königin und nickte.
Isabella senkte ihre Fackel und zündete das sorgsam errichtete Reisignest an, auf dem sich Bücher, Schriftrollen und Pergamente stapelten, ausnahmslos alle in arabischer Sprache verfasst. Die Zwergin tat es ihr nach.
Ein Schrei ging durch die Menge, die sich seit Einbruch der Dunkelheit am Sandtor versammelt hatte, als die Scheite zu brennen begannen und Flammen an den Büchern emporleckten, zögernd noch, beinahe schüchtern, bald jedoch höher und stärker, gierig verschlingend, was man ihnen geopfert hatte.
Cisneros reckte sich, als falle soeben eine gewaltige Last von seinen mageren Schultern.
Ein paar der Mauren hatten eilig Wassereimer herbeigeschleppt, um den Brand zu löschen, doch sie wurden von den dunkel gekleideten Soldaten der Königin, die wie ein Wall aus Menschenleibern den Marktplatz umschlossen, gewaltsam daran gehindert.
Hitze breitete sich rasch aus. Das prasselnde Feuer begann zu stöhnen und zu ächzen wie ein riesiges Lebewesen. Die Flammen züngelten, als verlangten sie gierig nach mehr.
Das war noch lange nicht das Ende.
Noch immer rollten bis zum Rand gefüllte Handkarren aus allen Ecken heran und Rotkappen warfen noch mehr Bücher in die Flammen. Als könne es ihnen nicht schnell genug gehen, fingen sie an, die Druckwerke zu zerfetzen, rissen ganze Seiten heraus,
Weitere Kostenlose Bücher