Die Nacht von Granada
den flachen Dächern ihrer Elternhäuser, die jeweils auf der anderen Seite der Gasse lagen und doch so nah zusammenstanden, dass man mit einem mutigen Satz von einem auf das andere hätte wechseln können. Als Heranwachsender hatte Rashid das zu Saidas Entsetzen einmal gewagt – und sich von Kamal für seinen Leichtsinn eine Tracht Prügel eingefangen.
Hierher konnten die Mädchen allabendlich kommen, um ungestört ihre Geheimnisse auszutauschen, ohne das Haus verlassen zu müssen – jedenfalls solange sie ihre Geheimnisse noch miteinander geteilt hatten. Der Mond war ihr Verbündeter, so empfanden die beiden es jedenfalls. In seinem Licht waren sie sich nah. So war der Name »Mondschwestern« entstanden.
Trotz des sternenklaren Nachthimmels über ihnen fühlte Lucia sich plötzlich elend, und ihr Unwohlsein verstärkte sich, als Nuri weiterredete.
»Alle sind auf einmal so seltsam«, sagte sie. »Vater hab ich den ganzen Tag nicht zu Gesicht bekommen. Er hat sich mit deinem Vater in der Werkstatt verbarrikadiert, beinahe wie früher, als sie noch zusammen gearbeitet haben, doch damals standen die Türen stets offen. Weißt du vielleicht, was sie vorhaben?«
»Keine Ahnung«, antwortete Lucia. Sie war erleichtert, dass sie wenigstens in diesem Punkt die Wahrheit sagen konnte. »Mir hat er bislang nichts erzählt.«
»Mama hat sich mit Rashid gezankt und der ist noch immer nicht nach Hause gekommen. Manchmal hab ich richtig Angst um meinen Bruder. Da ist so etwas in seinem Blick, als wäre er innerlich ganz woanders. Ob er sich verliebt hat? Vielleicht leidet er ja, weil seine Liebste einen anderen vorzieht?«
Lucia rang nach Atem.
Das konnte, das durfte nicht sein! Rashid kämpfte für die Freiheit, daher rührte seine Aufregung.
»Alt genug dazu wäre er ja.« Nuri spann ihre Gedanken ungehindert weiter. »Mama wäre sogar froh, wenn er endlich heiraten würde. Dann wird er sicherlich ruhiger, hat sie gesagt, und vernünftiger …«
»Weißt du, wen ich heute getroffen habe?«, fiel Lucia ihr ins Wort, weil sie es nicht länger aushalten konnte. »Diesen Naseweis vom Fluss!«
»Miguel?« Nuris Stimme zitterte leicht. »Einfach so?«
»Einfach so«, bekräftigte Lucia. »Ich kam gerade von Padre Manolo und da stand er plötzlich vor mir. Natürlich hat er sofort wieder mit seinen frechen Bemerkungen angefangen, aber ich habe gut pariert.«
»Hat er auch nach mir gefragt?«, wisperte Nuri und wechselte unwillkürlich ins Andalusische.
»Hat er. Ob du heute meinen Schleier trägst, wollte er wissen, da hab ich ihm verraten müssen, dass wir nicht Fatima und Consuelo sind.«
»Er kennt unsere Namen?«
Wieso wollte Nuri alles, was diesen Miguel betraf, plötzlich bis in die letzte Kleinigkeit wissen?
»Ja«, erwiderte Lucia. »Es ließ sich leider nicht vermeiden. Ich hab mich nach dem Kater erkundigt. Erst hat er ganz großspurig angeboten, wir könnten Fuego haben, weil sein Onkel ihn ohnehin loswerden wolle, dann aber wollte er, dass ich ihm verrate, wo wir wohnen …«
»Er will hierherkommen?« Jetzt klang Nuri entsetzt. »Aber dann kommt ja heraus, dass wir heimlich am Fluss waren!«
»Keine Angst – Miguel weiß nichts! So leicht lasse ich mich doch nicht von einem Fremden ausfragen.«
»Dann bleibt der Kater also bei ihm?« Überraschenderweise schien Nuri auf einmal enttäuscht.
»Fürs Erste wohl schon. Aber Miguel hat mir auch gesagt, dass er regelmäßig die Messe in San Nicolás besucht. Da findet sich bestimmt eine Gelegenheit, um noch einmal darauf zurückzukommen.«
»Dann wirst du ihn also bald schon wiedersehen – und ich nicht«, sagte Nuri nach einer Weile. »Manchmal beneide ich dich um deine Freiheiten. Und wie viel Spaß würde es erst machen, könnten wir gemeinsam losziehen!«
»Da malst du dir entschieden zu viel aus. Djamila hat doch ihre Augen überall, und mein Vater will stets wissen, wo ich stecke. Was diesen Miguel betrifft, so bin ich gar nicht besonders erpicht darauf, ihn wiederzusehen«, erwiderte Lucia rasch. »Ich kann Kerle nicht ausstehen, die dermaßen überzeugt von sich sind!«
»Seine Augen sind goldbraun, fast golden, ist dir das eigentlich schon aufgefallen?« Nuri schien tief in Gedanken. »Ich hab noch nie zuvor einen Mann mit solch ungewöhnlichen Augen gesehen!«
»Nein«, sagte Lucia und erhob sich. »Gute Nacht, Nuri! Ich gehe jetzt besser hinunter zum Schlafen. Meine Hände sind schon eiskalt.«
3
E milio zeigte sein hässliches Lachen
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