Die Nacht von Granada
der Grund, warum er überhaupt zugestimmt hat. Aber jetzt weiß er nicht mehr weiter. Ebenso wenig wie Antonio.«
Ihr Gesicht schien plötzlich winzig vor Sorge.
»Wir müssen den Stein zurückholen«, rief Lucia, der dieser Anblick ans Herz ging. »Wir werden unseren Vätern helfen!«
»Aber wie wollen wir das anstellen?«, sagte Nuri mutlos. »Ich kann mich doch nicht einmal frei in der Stadt bewegen, wie du weißt. Wie soll ich da einen Dieb ausfindig machen?«
»Aber du hast Augen und Ohren!« Lucia geriet immer mehr in Rage. »Die machst du sperrangelweit weit auf und speicherst alles, was du hörst und siehst: was die Frauen im Hamam* klatschen, was man auf den Markt so redet, was zwischen den Zeilen gesagt wird – einfach alles ! So ein wertvoller Stein kann doch nicht mir nichts, dir nichts vom Angesicht der Erde verschwinden. Irgendwo muss er sein. Irgendjemand muss ihn haben. Und wir beide werden herausbekommen, welcher Schuft das ist!«
Sie wirkte so ansteckend mit ihrer Tatkraft, dass Nuri für einen kurzen Augenblick das Lächeln wiederfand.
Dann jedoch erlosch es erneut.
»Uns bleibt nur so wenig Zeit«, wandte sie ein. »Papa hat gesagt, dass dieser Gaspar jeden Tag auftauchen kann, um den Stein zu inspizieren. Was dann …«
Wie ein Geist stand auf einmal Djamila mit einem Gast in der Tür. Sie hatte Haar und Gesicht verhüllt, als wäre sie bereits für den täglichen Gang auf den Markt gerüstet.
»Antonio hat ihn herübergeschickt«, sagte sie und ihr Tonfall verriet tiefste Empörung. »Du sollst Seňor Díaz mit Tee und Gebäck bewirten, bis dein Vater genügend Zeit hat, sich um ihn zu kümmern.«
Nuri war abwechselnd rot und blass geworden, zu aufgeregt, um noch daran zu denken, sich halbwegs anständig zu bedecken.
»Ich möchte die geschätzten Seňoritas keinesfalls stören«, sagte Miguel mit einer angedeuteten Verneigung, »aber Seňor Álvarez war so freundlich, mich hier zum Warten einzuladen. Es scheint ihm nicht sonderlich gut zu gehen, wie ich eben sehen und hören konnte. Es ist doch hoffentlich nichts Ernstes?«
Unfähig zu antworten, schüttelte Lucia stumm den Kopf, während in ihrem Kopf die Gedanken sich überschlugen.
Erst neulich war er ihr am Abend nachgegangen und jetzt stand er schon wieder vor ihr!
Konnte es sein, dass er ihr Verhalten so falsch verstand?
Sie schielte zu Nuri, die ihn wie gebannt anstarrte. Und auch er schien seine Augen kaum von ihr lösen zu können, was Lucia zu ihrer eigenen Verblüffung einen kurzen, heftigen Stich versetzte.
Bislang hatte er nur sie so angesehen. Vielleicht, weil er Nuri erst heute wieder zu Gesicht bekommen hatte?
»Wir sollten uns setzen«, brachte Lucia schließlich hervor. »Ich gehe Tee holen.«
»Das ich kann doch machen!« Wieselflink war Nuri in der Küche verschwunden, während Djamila noch immer wie angewurzelt dastand.
»Du kannst ruhig deine Einkäufe erledigen«, sagte Lucia, zu ihr gewandt. »Mein Vater wird ohnehin jeden Augenblick bei uns sein.«
»Das solltest du schon mir überlassen«, erwiderte Djamila.
Aus der Küche kam hektisches Klappern, dann ein unterdrückter Schrei.
»Nichts passiert!«, rief Nuri gewollt munter von nebenan. »Nur beinahe das Tablett und die Becher …«
Jetzt gab es für Djamila kein Halten mehr. Sie stürzte ihr in die Küche hinterher, offenbar entschlossen, das Schlimmste zu verhindern.
»Was willst du wirklich hier?«, zischte Lucia Miguel zu. »Und sag gefälligst die Wahrheit!«
»Ein Besuch in der Werkstatt deines Vaters.« Wie brachte er nur das Kunststück fertig, derart unschuldig da bei auszusehen! »Mein Onkel hat mich gebeten, mich nach dem Stein zu erkundigen, der dort gerade nach seinen Angaben umgeschliffen wird. Ich soll mir anschauen, welche Fortschritte diese Arbeit macht. Das ist auch schon alles.«
»Dein Onkel?«, krächzte Lucia, während Nuri mit einem Tablett, auf dem eine Teekanne und vier Gläser standen, zurückkam, gefolgt von einer noch immer misstrauischen Djamila. »Dein Onkel ist Gaspar Ortíz?« War das bereits die erste Gelegenheit für Nuri und sie, ihre Klugheit unter Beweis zu stellen und den Vätern zu helfen?
Jetzt wären die Gläser Nuri beinahe ein zweites Mal von dem polierten Metall gerutscht.
Miguel nickte, und wieder ruhten seine Augen auf Nuris lieblichen Zügen, als könne er sich kaum daran sattsehen.
»Dein Vater besitzt großes Talent.« Seine Stimme war voller Wärme. »Es ist mir eine Ehre und ein
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