Die Nacht von Granada
besonders kostbare Bücher geliehen. Auf gut Glück schlug der Priester das oberste in der Mitte auf.
»Wenn die Dämmerung dichter wird« , las er, »erwarte meinen Besuch. Denn ich glaube, die Nacht ist die beste Hüterin der Geheimnisse…«
Plötzlich konnte er nicht weiterlesen und klappte das Buch zu, als wäre er bei etwas Verbotenem ertappt worden.
Die ersten Jahre im Kloster, wie schwierig war es da für ihn gewesen, der fleischlichen Lust zu entsagen! Der Duft der Frauen, das Rascheln der weiten Gewänder, ihr helles Lachen – während der endlosen Gebetszeiten und der trostlosen Nachtstunden im Dormitorium*, wo der Schlaf ihn hartnäckig geflohen hatte, wehten ihn immer wieder diese Erinnerungen an, wühlten ihn auf und ließen ihn sehnsüchtig und unzufrieden mit seinem Schicksal zurück.
Das war inzwischen anders geworden. Er hatte sich an sein einsames, eheloses Leben gewöhnt. Doch seitdem er Doña Pilar kannte, waren sogar seine Träume verändert. Schon viel zu lange tat sie viel zu viel für ihn! War das der einzige Grund, weshalb die klingenden arabischen Verse gerade wieder ihr Gesicht vor ihm heraufbeschworen hatten?
Eigentlich gefiel ihm alles an ihr.
Die Art, wie sie redete, wie sie dachte, ihr trockener Humor, sogar die schrullige Bärbeißigkeit, mit der sie manchmal um sich schlug, wenn sie Angst bekam, ihre wahren Gefühle zu zeigen. Vor allem jedoch die Großherzigkeit, die hinter der strengen Fassade überreichlich vorhanden vor.
Genau die richtige Frau für einen Priester, dachte er. Wenn er denn eine haben dürfte.
Padre Manolo seufzte, nahm erneut die Feder zur Hand, um seine Arbeit fortzusetzen. Plötzlich durchzuckte ihn ein Gedanke, der ihn augenblicklich hellwach werden ließ.
Nur für den Fall der Fälle – was immer Lucero mit dem Verzeichnis arabischer Schriften vorhatte, er traute diesem Mann nicht über den Weg. Aus diesem Grund würde er die Mühe auf sich nehmen, noch eine weitere Liste anzufertigen, auf der die wichtigsten und kostbarsten Bände fehlten.
Außerdem beschloss er, Imam Hasan darüber in Kenntnis zu setzen. Der muslimische Geistliche besaß eine erstaunliche Sammlung wertvoller arabischer Bücher. Konnte nicht schaden, wenn sie gemeinsam einen Großteil davon an einen sicheren Ort schafften!
Die Feder schien auf einmal über das Papier zu fliegen. Padre Manolo würde sie erst beiseitelegen, nachdem der letzte Buchstabe geschrieben und die Tinte restlos getrocknet war.
So lange musste Doña Pilars köstliches Kaninchen eben warten – für den Fall der Fälle.
Im ganzen Haus stank es nach Elend und Hass.
Wie benommen taumelte Rashid von Raum zu Raum, kaum in der Lage, das gesamte Ausmaß der Verwüstung auf einmal in sich aufzunehmen. Vieles, woran seine Mutter innig gehangen hatte, lag nun zertreten oder befleckt vor ihm: die liebevoll gehüteten Töpfe zerschlagen, die eigenhändig bestickten Kissen aufgeschlitzt, die mühsam vom Mund abgesparten Teppiche von groben Lehmstiefeln besudelt.
In Obergeschoss sah es fast noch schlimmer aus, als hätten hier die Männer des Suchtrupps besonders hemmungslos gewütet. Die Betten waren in ihre Einzelteile zerlegt, alle Truhen und Kästchen aufgerissen und ihr Inhalt wahllos auf den Boden verstreut.
Er bückte sich nach einem dünnen silbernen Armreif, der einst das Handgelenk der kleinen Nuri geschmückt hatte, und musste plötzlich mit den Tränen kämpfen.
Die Rotkappen des Inquisitors waren bis an die Zähne bewaffnet, während den Söhnen Allahs bislang nur ein paar Messer und ihre Holzstöcke blieben. So lange warteten sie nun schon auf die angekündigte Unterstützung aus den Bergen – doch was würden sie gegen gut organisierte Truppen ausrichten können?
Ein böses Gerücht machte seit gestern im Albaycín die Runde: dass die Königin Kunde vom geplanten Aufstand erhalten und deshalb angeordnet habe, so schnell wie möglich mehr Soldaten in Granada zu stationieren.
Was die Chancen der Söhne Allahs trotz ihrer Tapferkeit deutlich schmälern würde.
Angst kroch Rashid langsam unter die Haut. Die christlichen Gegner waren zu allem bereit, das bewies der Zustand seines Elternhauses. Es ging ihnen nicht um Gehorsam, Unterwerfung und Taufe. Es ging allein um Zerstörung.
Die Mauren Granadas sollten ausgerottet werden – mit Stumpf und Stiel.
Er warf den Kopf zurück und begann loszuschreien, so laut wie noch nie zuvor in seinem Leben.
Konnten das Rashids Tritte sein, so fein und leicht,
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