Die Nacht von Granada
glaube, die Nacht ist die beste Hüterin der Geheimnisse. Was ich für dich fühle, verhüllt der Sonne Schein, hindert den Mond daran, aufzugehen, und die Sterne, ihren Lauf zu beginnen .«
Wenn er doch niemals aufhörte! Noch nie zuvor hatte Lucia ihn auf solch wunderbare Weise zu ihr sprechen hören.
Rashid schmunzelte leicht über ihre offenkundige Verwirrtheit.
»Ein Gedicht, das ich sehr liebe«, sagte er. »Leider ist es nicht von mir, sondern von einer maurischen Prinzessin, die es ihrem Geliebten gewidmet hat, der Christ war. Vor beinahe vierhundert Jahren. Du siehst also, Lucia, Liebe ist unsterblich!«
Er neigte sich nach vorn, küsste sie zart auf die Lip pen. Und bevor Lucia etwas antworten konnte, war er verschwunden.
Ein Meister arabischer Kalligrafie* war Padre Manolo niemals gewesen. Aber sein Arabisch war passabel, und er beherrschte die Zeichen der Neshi-Schrift*, ohne lange überlegen zu müssen. Was ihm dagegen größere Schwierigkeiten bereitete, war das ungewohnte Schreiben von rechts nach links. Immer wieder kam seine Hand, die die Feder führte, dabei mit der feuchten Tinte in Berührung, was zu unschönen Verwischungen führte.
Die Zeit drängte zu sehr, um sich darum zu kümmern.
Dabei hätte der Priester nicht einmal sagen können, was genau ihn zu dieser atemlosen Eile trieb. Ein gewisser Ton in der Stimme des Inquisitors hatte ihn aufhorchen lassen. Seitdem war er nicht mehr zur Ruhe gekommen.
Natürlich hätte er sich Hilfe holen können. Er kannte einige Mauren im Umfeld des Imam, die um einiges schneller und besser schreiben konnten, als er es jemals erlernen würde.
Doch wen auf die Schnelle einweihen, wem überhaupt noch trauen in dieser schrecklichen Zeit der Ungewissheit?
Allein mit Doña Pilar hatte er gewagt, seine Befürchtungen zu teilen – und sie damit ganz offenbar in neue Sorgen gestürzt.
»Dann verweigert ihm doch einfach diese Liste mit den arabischen Büchern«, hatte sie vorgeschlagen, während sie einen Topf öffnete, aus dem das köstliche Aroma von Kaninchenbraten, Rosinen und Pistazien drang, das ihm augenblicklich das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. »Oder kann er Euch dazu zwingen? Ich glaube, eher nein. Aber begebt Euch dabei nicht wieder in Gefahr, das müsst Ihr mir versprechen. Noch ein paar schlaflose Nächte bringen mich um den Verstand!«
»Seid ganz unbesorgt!«, versicherte Padre Manolo, was eine großzügige Auslegung der Wahrheit war. »Ich habe natürlich meine Erkundigungen eingezogen. Erzbischof Cisneros hat tatsächlich Erzbischof Talavera nach arabischer Literatur in Granada gefragt. Lucero soll sie Cisneros offenbar nur beschaffen.«
»Und warum seht Ihr dann so unglücklich aus, während Ihr mir das alles erzählt?« Do ñ a Pilars Miene blieb skeptisch. »Da steckt doch noch etwas dahinter, das Ihr vor mir verbergt.«
»Weil ich einfach kein gutes Gefühl dabei habe! Und wisst Ihr, geschätzte Freundin, auf meine Gefühle konnte ich mich seit jeher verlassen.«
»Ach ja?« Plötzlich hatte sie ihn nicht mehr angesehen, scheinbar vollständig in das Hantieren mit dem Essen vertieft, das sie ihm auf einem zerschrammten Teller liebevoll anrichtete. »Da habt Ihr mir offenbar einiges voraus, Padre!«
Doña Pilar hatte den leeren Topf schon wieder eingepackt, um das Pfarrhaus zu verlassen, als sie noch einmal stehen blieb.
»Was spräche eigentlich gegen eine Abschrift?« Im Licht der tief stehenden Sonne, die heute für einige Stunden die spätherbstliche Stadt verwöhnt hatte, wirkte sie plötzlich um Jahre verjüngt. Sogar ihre schmalen Wangen schienen rosig überhaucht und die fleischlose Nase harmonierte mit dem Rest des Gesichts. »Nur für den Fall der Fälle. Das hat unser kluger Vater früher immer gesagt. Und Ihr wisst ja, Padre, unser Volk hatte allen Grund, vorzusorgen.«
Seitdem brütete er hier über diesen endlosen Listen, die er, für den Fall der Fälle, wie er sich lächelnd sagte, obwohl seine Hand vom stundenlangen Schreiben schon ganz verkrampft war, sowohl auf Arabisch als auch auf Lateinisch anfertigte. Die vielen Bände medizinischer Literatur, von denen die wertvollsten ohnehin bei Talavera im Bischofspalast lagerten, hatte er schon aufgelistet; ebenso die Abhandlungen über Rechtsgeschichte und die arabischen Übersetzungen griechischer Philosophen. Inzwischen war er bei den Lyriksammlungen angelangt, aber er merkte, wie seine Gedanken jetzt immer wieder abschweiften.
Imam Hasan hatte ihm ein paar
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