Die Nacht von Granada
Pilar legte ihr besänftigend die Hand auf den Arm. »Das hat doch keinen Sinn.«
»Mauren – pah! Wie froh werde ich sein, wenn dieses Gesindel endlich da ist, wo es hingehört.«
»Du klopfst bei Antonio an, wenn du so weit bist?« Pilar sprach ausschließlich zu Pedro und tat, als wäre die Keifende gar nicht anwesend. »Ich bin für ein Weilchen in das Haus meines Schwagers gezogen …«
»Den man ebenfalls eingekerkert hat – und das gewiss nicht ohne Grund!« Consuelos Stimme triefte vor Genugtuung. »Von Anfang an hat er ja stets geglaubt, sich etwas Besonderes herausnehmen zu können. Eine fromme Christin war ihm als Ehefrau nicht gut genug, nein, es musste ja unbedingt eine Marrarin sein, die, wie die meisten Juden, ihrem verbotenen Glauben niemals wirklich abgeschworen hat. Und jetzt ist auch noch diese kleine Maurenhure von ihm schwanger. Das ganze Viertel zeigt schon mit Fingern auf diese beiden!«
Sie hielt inne, weil das Rumpeln eines schwer beladenen Karrens auf der Gasse sie ablenkte. Auch Lucia lauschte unwillkürlich nach draußen. Man hörte, wie raue Männerstimmen sich in einer fremden Sprache etwas zuschrien, dann kehliges, triumphierendes Gelächter. Schon wieder diese Rotkappen! Welche neuen grausamen Quälereien sie den Menschen wohl gerade bereiteten?
Consuelo nutzte die Gelegenheit, um für weitere Bosheiten tief Luft zu holen. Mit sichtbarer Befriedigung fuhr sie fort: »Doch seinen kleinen Bastard wird er wohl leider nicht mehr aufwachsen sehen. Denn Antonio Álvarez wird vor Gericht gestellt, schon morgen, wenn die Mittagsglocken läuten, gemeinsam mit seinem maurischen Freund Kamal. Und dann warten der Strick oder besser noch das Rad* auf diese beiden Übeltäter!«
»Woher weißt du das?«, fragte Lucia mühsam beherrscht, während ihre Finger sich so tief in Pilars Arm gruben, dass die Tante beinahe aufgeschrien hätte.
»Von Ignacio«, erwiderte Consuelo. »Der ist seit ein paar Monaten Handlanger des Henkers.«
»Dann weißt du sicherlich auch, wo der Prozess stattfinden soll.« War das wirklich Lucias eigene Stimme, so winzig und zittrig?
»Natürlich.« Consuelos Augen glitzerten. »In der Alcazaba*. Unweit der dunklen Kerkerzellen, wo jetzt alle hocken – jeder Einzelne in seinem eigenen stinkenden Loch.«
»Wir haben keine arabischen Bücher!« Laila, Amirs rundliche Frau, schüttelte verzweifelt den Kopf. »Wie denn auch? Mein Mann ist Schneider und kein Gelehrter!«
Die beiden Rotkappen brachen in schallendes Gelächter aus. Dann jedoch wurden ihre Mienen schnell wieder finster.
»Heraus mit den Büchern – oder wir fackeln dir das Dach überm Kopf ab«, sagte der Größere drohend. »Mach schnell! Wir wissen alles!«
Nicht zum ersten Mal verfluchte Laila den Entschluss Amirs, sich den Söhnen Allahs anzuschließen. Seitdem er untergetaucht war, bestand ihr Alltag nur noch aus Angst, Einschränkung und Verdruss, obwohl sie ihr ruhiges, bescheidenes Leben an seiner Seite zuvor doch über alles geliebt hatte.
Aber hatten sie ihrem fleißigen und frommen Mann eine andere Wahl gelassen?
Zwangsgetauft hatten sie ihn, den hingebungsvollen Anhänger der Lehre des Propheten, mit Gewalt dazu zwingen wollen, Schweinefleisch zu essen, und ihn schließlich auch noch mit ihren Schwertern bedroht!
Immer war sie versöhnlich gestimmt gewesen, bedacht auf den Ausgleich zwischen den Religionen, das wussten alle hier im Viertel, Muslime wie Christen, jetzt aber loderte selbst in ihrem friedfertigen Herzen die heiße Flamme des Hasses.
Ihr Gesicht musste die heftigen Gefühle widerspiegeln, denn plötzlich traten die Söldner einen Schritt zurück.
Einen köstlichen Lidschlag lang fühlte Laila sich als Gewinnerin. Hier war ihr Haus, und obwohl ihr Mann sich versteckten musste, hatte sie die übermächtigen Christenfeinde in die Schranken gewiesen!
Dann jedoch veränderte sich alles blitzschnell.
Der jüngere Söldner versetzte ihr eine Maulschelle, die sie an die Wand schmetterte. Der Ältere riss die Tür auf und weitere Rotkappen kamen ins Haus gestürmt, einer von ihnen mit einer brennenden Fackel in der Hand.
Er musste sie nicht einmal an die Holztruhe halten, die Laila von ihrer Großmutter geerbt und stets liebevoll aufbewahrt hatte.
Ihre Lippen öffneten sich wie von selbst.
»Der Heilige Koran«, krächzte sie. Dabei hatte sie den metallischen Geschmack von Blut im Mund. »Und zwei alte Medizinbücher. Gleich nebenan. In der ersten Truhe, unter den
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