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Die Nacht von Shyness

Die Nacht von Shyness

Titel: Die Nacht von Shyness Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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bewaldet, aber heute ist da nur noch ein Labyrinth aus abgestorbenen Büschen und Bäumen. Der Mond steht hoch am Himmel und scheint auf den glatten, glänzenden Fluss, der sich wie ein Band durch die Landschaft schlängelt. Er führt mehr Wasser als in meiner Erinnerung. Vor uns liegt eine Holzbrücke.
    »Ich weiß was Besseres. Komm hier lang.«
    Mein Rad zittert unter den unebenen Brettern der Brücke. Wir fahren etwas anders als geplant. Meine alte Schule, St. Judes, liegt auf der anderen Seite des Flusses. Dort gibt es genau so einen Weg. Fast fünf Jahre lang war das mein täglicher Schulweg.
    Der Weg ist weiter vom Flussufer entfernt und nicht beleuchtet. Ich trete in die Pedale. Entgegen Wildgirls Behauptung, sie sei nicht in Form, hält sie mit.
    Wir fahren in eine Senke, kahle Zweige greifen nach uns. Ich halte mir einen Arm schützend vor das Gesicht, bis es wieder bergauf geht. Der Mond spendet genug Licht, um in alle Richtungen zu sehen: rechts die steile Böschung bis zum schwarzen Fluss, links die silbrige, sanft abfallende Ebene und vor uns die Lichter von Orphanville. Ich senke den Kopf und trete kräftiger.
    »Fahr mal langsamer!«, ruft Wildgirl. »Ich will sehen,wo wir hinfahren.« Mit ihrer zurückgeschobenen Mütze sieht sie einer radelnden Elfe jetzt verblüffend ähnlich.
    Sofort drosseln wir das Tempo, bis wir kaum noch schnell genug sind, um uns aufrecht zu halten. Keuchend kommt Wildgirl zu Atem, während sie die Hochhäuser vor uns betrachtet. Aus der Ferne wirkt Orphanville massiv und majestätisch, die Lichter glänzen wie Pailletten an den Gebäuden. Oben auf einem der Hochhäuser flackert etwas orange – da macht wohl jemand ein Lagerfeuer.
    Wildgirl fährt näher heran und umfasst meinen Lenker. Ich greife nach ihrem und so fahren wir weiter, durch unsere gekreuzten Arme verbunden.
    »Ich hätte gedacht, spätestens jetzt würde ich Angst haben.«
    »Hätte ich auch von dir gedacht.« Ich genieße das Gefühl, wie ihr Arm gegen meinen drückt, gleichzeitig ärgert es mich, dass ich mich von ihr so beeinflussen lasse. Ich habe Thoms Worte aus dem Little Death wieder im Ohr. So eine Gelegenheit willst du dir entgehen lassen, nur weil eine scharfe Braut ein bisschen nett zu dir ist?
    Die toten Bäume stehen jetzt dichter und verdecken Fluss und Ebene. Ein paar Mal bilde ich mir ein, aus den Augenwinkeln Gestalten im Gebüsch zu sehen, Schuljungen in weinroter Uniformjacke. Doch wenn ich hinschaue, ist niemand da. Wenn hier einer die Panik kriegt, bin ich es. In manchen Ecken von Shyness verstärken sich Träume und Erinnerungen, und so muss es hier, auf diesem Weg am Fluss, auch sein. Ich frage mich, ob Wildgirl das wohl spürt.
    Ich muss einfach weiterreden. »Wie kommt es, dass du dich so gut mit Fahrrädern auskennst?«
    »Als Kind war ich ein halber Junge. Mike und ich sind überall mit dem Rad hingefahren. Wir sind so lange am Strand entlanggeradelt, wie wir konnten, Kilometer um Kilometer, ganz allein. Ganze Tage blieben wir verschwunden.«
    Mein Griff um ihren Lenker wird fester. Inzwischen sind wir ein ganz gutes Tandem. Auf eine radelnde Elfe kann ich kaum länger sauer sein.
    »Wer ist Mike?«
    »Er war mein bester Freund. Er hat in der Wohnung unter uns gewohnt.«
    »Warum war?«
    »Er ist weggezogen, als ich zwölf war.«
    Ich lockere den Griff ein wenig. Jetzt geht es wieder ein Stück bergab und wir werden schneller. Wenn wir auf diesem Weg bleiben, kommen gleich die Überreste eines Autohauses, danach ein paar Sportplätze und dann sehen wir die Türme von St. Judes.
    »Ist das die Brücke, die Blake meinte?« Als Wildgirl in die entsprechende Richtung zeigt, schwanken unsere Räder heftig. Ich lasse los, wir driften auseinander.
    Über den Fluss zu unserer Rechten wölbt sich zwischen zwei großen Felsen eine Holzbrücke. Jemand hat Gesichter daraufgesprüht. Wir müssen jetzt direkt hinter Orphanville sein. Ich zische ab und komme am Fuß der Brücke schlitternd zum Stehen. Als Wildgirl bremst, ist hinter mir eine Staubwolke.
    Die Brücke ist verfallen, fast jede dritte Planke fehlt. Auf der einen Seite ist das Geländer ganz abgebrochen.
    »Sieht so aus, als ob wir da zu Fuß drüber müssen.«
    Ich springe vom Fahrrad und hebe es hoch, sodass die Stange auf meiner Schulter liegt. Lauter Holzsplitter liegen am Ufer unter uns herum. Der Mond hat sich hinter einer Armada von Wolken versteckt. Alles ist dunkel und still.
    Ich stehe nah am Rand der Brücke, dort, wo sie am

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