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Die Nacht von Shyness

Die Nacht von Shyness

Titel: Die Nacht von Shyness Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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alles. Als ich wieder klar sehe, ramme ich ihm die rechte Faust in die Brust. Ich lasse die Linke folgen und sehemein Opfer dabei kaum an. Meine Knöchel treffen auf seinen Schädel. Ich bleibe nicht stehen, als er zu Boden geht.
    Ich rase auf das gelbliche Leuchten des Ausgangs zu.
    Als ich mich umdrehe, steht Doktor Gregory im Türrahmen. Er blickt mir nach, während er sich mit einer Hand die Haare zurückstreicht.

siebenundzwanzig
    Als ich die Kellertür aufmache, höre ich es. Es hallt durchs Treppenhaus.
    Ein Heulen.
    Ein langes, ersticktes Heulen, das nur von Wolfboy stammen kann.
    Ein Schmerzenslaut.
    Ohne zu überlegen, laufe ich die Treppe wieder hoch, aber nach einem Treppenlauf zögere ich. Wenn das nun eine Falle ist? Wenn ich alles nur noch schlimmer mache? In einem Kampf bin ich sowieso nicht zu gebrauchen.
    Ich mache wieder kehrt und gehe zurück in den Keller. Tränen laufen mir übers Gesicht, sie hören einfach nicht auf zu fließen. Das Metallgitter liegt immer noch am Eingang zum Tunnel. Wie viel Zeit ist vergangen, seit Wolfboy und ich hier waren? Ich schaue auf die viereckige Öffnung. Jetzt, da ich allein bin, sieht sie nicht sehr verlockend aus. Ich hebe das Gitter hoch. Es lässt sich so gegen den Eingang lehnen, dass er verschlossen aussieht. Ich mache mich bereit für den Einstieg und ziehe das Gitter zum Rand der Öffnung. Dann lege ich mich auf den Bauch und schiebe mich rückwärts hinein. Hoffentlich schaffe ich es, mich mit einer Hand an der Kante festzuhalten und mit der anderendas Gitter zurückzuziehen. Doch sobald ich mit den Rippen hindurch bin, falle ich hinunter und verliere den Halt. Ich schabe mit den Händen an der Tunnelwand entlang. »Mist«, sage ich.
    Im Tunnel ist niemand, aber ich möchte nicht wie auf dem Präsentierteller unter dem Eingang warten. Ich reibe mir die schmerzenden Hände und gehe weiter, bis ich hinter einigen Leitungen eine Nische in der Wand entdecke. Ich bücke mich, um sie in Augenschein zu nehmen. Sie ist größer, als ich dachte. Jemand hat eine winzige Kammer daraus gemacht, mit Decken und Kissen.
    Meine Ukulele stößt gegen die Rohre, deshalb nehme ich sie ab und krieche in die Kammer. Ich setze mich auf ein Kissen und wische mir das Gesicht mit dem Zipfel einer Decke ab. Ich bin völlig überfordert.
    Ich hätte mir die Hände schlimmer verletzen sollen, das würde mir recht geschehen. Ich hätte zurückgehen müssen, aber jetzt ist es wahrscheinlich zu spät. Womöglich liegt Wolfboy auf dem Dach, blutend oder bewusstlos. Doktor Gregory und diese Männer könnten ihn in ihren Wagen schleppen und wegfahren.
    Genau das hatte ich befürchtet. Ich habe nichts mehr, meine Brieftasche, mein Handy und meine Schlüssel sind in Wolfboys Rucksack. Was soll ich machen? Nach Hause gehen und so tun, als wäre nichts geschehen? Als hätte ich ihn nie kennengelernt, als hätte es ihn nie gegeben?
    Ich nehme mir vor, zehn Minuten zu warten, oder was meinem Gefühl nach zehn Minuten sind. Ich will nicht allein zurückgehen. So darf es nicht enden.
    Ich habe die Augen noch nicht lange geschlossen, da höre ich, wie jemand im Tunnel landet. Ich bin zu müde um zu überlegen, ob ich kämpfen soll, also sitze ich nur da und warte. Ein Gesicht taucht unter den Rohren auf.
    Wolfboy sieht genauso übel aus, wie ich mich fühle, aber auch erleichtert, mich zu sehen.
    »Hi«, sage ich, als er sich in die Kammer quetscht. Ich hebe zwei Finger zum Peace-Zeichen. »Es geschehen noch Zeichen und Wunder.«
    Wolfboy kriecht über den Boden, dann stürzt er mir entgegen und vergräbt das Gesicht an meinem Hals. Ich muss mir auf die Lippe beißen, damit ich nicht schon wieder losflenne. Und dann, peinlich, aber wahr, heule ich doch.
    Ich heule viel zu lange, hicksend und würdelos, bevor ich Wolfboy ansehe. Seine Haare sind zerzaust und auf der einen Wange hat er eine Schramme. Der Kampfgeist in seinem Blick ist erloschen.
    »Ich hab die Karte nicht«, ist das Erste, was er sagt.
    Die Karte ist das Letzte, woran ich jetzt denke. Ich kann es kaum fassen, dass er hier ist und lebt. Er hat geheult, als würde ihm jemand mit dem Spachtel ins Herz stechen.
    »Das ist doch egal. Du bist gerettet. Hast du dein Feuerzeug?«
    Er nickt.
    »Das ist gut.« Es ist beruhigend, dass nicht alles umsonst war, aber das Feuerzeug scheint jetzt nicht mehr so wichtig. »Es tut mir so leid. Es war meine Schuld, dass wir in die Falle geraten sind.«
    »Red keinen Quatsch. Niemand war schuld.«

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