Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Folge einer Abtreibung war oder nur ihre Regel ungestüm und mit Verspätung eingesetzt hatte. Doch das war im zweiten Jahr ihrer Ehe, denn später hätte Laura vermutlich das Los eines ehelichen Kindes gleichmütig auf sich genommen. So aber mussten sie auf die Prämien verzichten, auf die verbilligten Kredite, auf das Kindergeld, das auch einem Arbeiter, wenngleich in geringerem Umfang, zustand - erhebliche Beträge, die der Staat einsetzte, um die Fruchtbarkeit des Volkes zu steigern. Auch als Mitte der dreißiger Jahre der faschistische Samstag eingeführt wurde, ein freier Nachmittag, der Veranstaltungen der Partei oder sportlichen Aktivitäten vorbehalten war, an dem die meisten Ehepaare aber, waren die Kinder doch außer Haus und auf einer der zahlreichen Parteiveranstaltungen bestens versorgt, den Freuden des Fleisches frönten, änderten sich ihre Gewohnheiten nicht. Sandro tauchte eben ein paar Stunden früher in der rusina auf, und mit den jüngeren Kollegen wurden wie gewohnt lautstark die beiden einzigen Dinge behandelt, die für einen Marmorarbeiter von Belang waren: die Anarchie und die Frauen, wobei bei Letzteren vor allem die eigenen Erfolge im Vordergrund standen, denn schließlich waren die marmisti die größten Frauenhelden weit und breit. Eine Tatsache, die von niemandem angezweifelt wurde. Laura dagegen traf sich mit einer Freundin zum Tee, eine weit verbreitete englische Unsitte, die das Regime nie in den Griff bekam.
Wurden schon Väter von zwei oder drei Kindern zum Bezirksbüro der Partei gebeten, um vom Vertrauensmann freundlich, aber bestimmt nach den Gründen für die Untererfüllung der staatlichen Zeugungsnorm befragt zu werden, verwundert es nicht, dass auch Sandro Lucetti im zehnten Ehejahr eine solche Vorladung erhielt.
So stand er im geflickten Anzug die Mütze in Händen vor dem Pult des Parteisekretärs und hörte sich einen langen Vortrag über das italienische Imperium an und die Notwendigkeit, ihm mit Soldaten und Arbeitern, mit Bauern und gebärfähigen Frauen zu dienen. Er starrte auf den Boden, manchmal auch an die Wand, betrachtete das strenge Gesicht des Duces oder die vielen Schilder, die daneben aufgehängt waren: „ Man grüßt römisch! “, „ Glauben, gehorchen, kämpfen! “ oder „ Der Faschist benutzt keinen Aufzug! “. Dann spuckte er in den Aluminiumnapf mit dem Kreuz der Lorena, dem Symbol der Kampagne gegen die Tuberkulose, hob die Schultern und sagte „Beh!“, was soviel hieß, wie "Es ist ja alles schön und gut, aber was soll ich machen?" und der Parteisekretär, der keine lange Rede erwartet hatte, schickte ihn wieder nach Hause.
Ein Jahr zuvor war Sandro bereits einmal beim Parteisekretär gewesen. Damals wurde er dort zusammen mit seinem Sohn Vieri vorstellig. Dieser hatte in einem Schulaufsatz zum Thema "Was ich mir von meinen Ersparnissen kaufen werde" geschrieben, nichts wünsche er sich so sehnlich, wie die Uniform der faschistischen Kinder- und Jugendorganisation, der Opera balilla , die sich sein armer Vater niemals würde leisten können. Tatsächlich beneidete der kleine Vieri schon lange seine Freunde und Klassenkameraden, wenn sie in ihren schwarzen Uniformen zu den Aufmärschen der Partei gingen, und wenn es wahr war, was sie sangen, dass das Auge des Duces stets wohlwollend auf ihnen ruhte, dann fragte er sich immer häufiger, was dieser wohl über ihn dachte, der sich stets im Hintergrund halten musste, um das schöne Bild der geschlossen aufgereihten Kinder nicht zu stören. Ein Auge, das er sich als riesigen Zeppelin vorstellte, der dicht über den Köpfen der Marschierenden strich, damit ihm ja nichts entginge. Kaum hatte die Lehrerin seine Zeilen gelesen, drückte sie ihm gerührt einen Ballila-Ausweis in die Hand und erließ die sonst fälligen fünf Lire. Auf dem Deckblatt prangte ein Bild des Duces, und als Vieri strahlend zu seinem Platz zurückging, schwenkte er stolz den Ausweis wie ein Fähnchen. Die Geschichte wurde auch der Partei zugetragen, die dem Jungen im Beisein des zwischen Wut und Stolz schwankenden Vaters in einer kleinen Zeremonie eine fabrikneue Uniform überreichte, nebst einem Sparbuch mit 100 Lire, zahlbar am achtzehnten Geburtstag. Als sie nach Hause kamen, nahm Laura den Ausweis und durchbohrte dem Duce mit einer Stricknadel die Augen. "Jetzt kannst du gehen und es herumzeigen", sagte sie.
Von seinem Namensvetter, dem verstorbenen Onkel, kannte Vieri nur die Fotografie auf der Anrichte im
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