Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
aufwölbte, bald unübersehbar für alle, lief ihr die Zeit davon. Auch wenn sie nicht wirklich mit Maximilians Rückkehr gerechnet hatte, klammerte sie sich lange an das Unwahrscheinliche, eine Hoffnung, die von Tag zu Tag schwand und ihr eines Morgens lächerlich schien.
An diesem Morgen schlug sie die Augen auf, und ohne einen Augenblick nachzudenken, wusste sie, dass der Deutsche, wie Maximilian mittlerweile in der Pension genannt wurde - Josef Lindemann war schon lange vor ihm in Vergessenheit geraten -, nicht mehr käme. Nein, gewusst hatte sie es von Anfang an, schon an jenem Tag im Hof, als er das merkwürdige Gedicht über Liebe und Treue vorgelesen hatte. An jenem Morgen war aber dieses Wissen plötzlich zu einer Tatsache geworden, ein Ereignis wie Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang, etwas Unumstößliches, unumstößlicher als der Tod, bei dem man sich schließlich manch eine Hintertür offen hielt.
An jenem Morgen stand sie auf und ging zu Sandro Lucetti, genannt Sandrin. Vier Wochen später waren sie verheiratet.
Vieri wurde am 1. Mai geboren, an einem Samstag.
Maria brachte ihn zur Welt. Es war eine leichte Geburt, eine Geburt, die Mutter und Tochter zwischen Frühstück und Mittagessen so routiniert absolvierten, wie die tägliche Hausarbeit, und als sie später zusammensaßen, Laura, Sandro, die Eltern und Geschwister, bedurfte es keines Wortes, um sich darüber zu verständigen, dass Sandro der leibliche Vater sei, es jetzt und in Zukunft sei, so wie er es schon immer gewesen war, bis zurück in den ewig weit zurückliegenden Sommer des letzten Jahres. Eine Rolle, die sich dieser ebenso wortlos zu Eigen machte und auch im Dorf ohne sichtbaren Widerspruch anerkannt wurde. Zumindest wurden keine Gerüchte laut, und als fast zwanzig Jahre später die üblichen Stimmen behaupteten, sie hätten es schon immer gewusst, es sei von jeher ein offenes Geheimnis gewesen, mochte man das glauben oder auch nicht.
In den ersten Jahren, als Lauras älterer Bruder Stefano im französischen Exil war, half Sandro in der Pension aus. Es war noch vor der ersten großen Zeit Portoclementes, den dreißiger Jahren, den goldenen, wie es wehmütig im Krieg und noch lange danach heißen sollte, und doch wuchs das Dorf beständig, neue Badeanstalten wurden eröffnet, und an den Stränden konnten die ersten Sonnenschirme bestaunt werden, die die bis dahin üblichen Sonnensegel bald ablösen und das Strandbild der Küste prägen sollten. Neue Hotels und Pensionen wurden gebaut, einige einfache Unterkünfte, aber auch manch luxuriöse Herberge, die keinen Komfort vermissen ließ und den späteren Ruf Portoclementes als einer der mondänsten Badeorte Italiens begründen half.
Nach Stefanos Rückkehr ging Sandro in den Marmorsteinbruch zurück. Bald wurde er capolizza . Er stand vor der Ladung und beaufsichtigte das Auslegen der eingeseiften Buchenhölzer; wenn der Block über die parati glitt, das singende Seil zum Zerreißen gespannt, schrie er molar!, und die molatori gaben ein paar Zentimeter Seil nach, und der Stein sprang ein Stück weiter, und Sandro machte dem rechten molator ein Zeichen und dann dem linken, und der Stein kroch den Geröllhang hinunter Stunde um Stunde zum Stelle, wo er auf die Marmorbahn oder einem Wagen umgeladen wurde.
Wenn es regnete und nicht einmal die genagelten Schuhe einen sicheren Stand im lockeren Abraum gewährleistet hätten, wurde nicht gearbeitet. Dann standen die lizzatori herum, suchten den Himmel nach einem Schimmer helleren Lichts ab und verfluchten Gott für den entgangenen Lohn.
Am Samstagabend betrank sich Sandro in der rusina , einer Bergarbeiterkneipe, die es seit Menschengedenken gab. Dort wurde der Wochenlohn verteilt, und wenn er spät in der Nacht nach Hause kam mit kaum mehr als der Hälfte davon in der Tüte, hörte er von Laura kein böses Wort. Sie küsste ihn, legte ihn ins Bett, und zog ihm die schweren speckigen Bergarbeiterschuhe aus. Dann ging sie zum Kinderbett und küsste auch ihren Sohn auf die Stirn, und wenn der Mond durch das Fenster schien und sie sein Gesichtchen betrachten konnte, seufzte sie.
Ein eigenes Kind bekamen sie nicht. Weder sie noch er schien das zu bedauern, denn es gab keine Zeit, in der sie verzweifelt versucht hätten, sich dem Diktat der Natur zu widersetzen. Ein einziges Mal hatte Laura gedacht, schwanger zu sein. Ihre Mutter hatte einen starken Sud aus Petersiliekräutern zubereitet, aber es blieb unklar, ob das viele Blut tatsächlich
Weitere Kostenlose Bücher