Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
ihm schwieg. Vielleicht hatte er ihn nicht gehört. So wiederholte Maximilian seine Frage: „Wohin fahren wir, Soldat?“
Der SS-Mann sah ihn kurz an. Schließlich sagte er: „Ich bin nicht befugt, Ihnen weitere Informationen zu geben.“
Sie fuhren zu den Marmorsteinbrüchen hinauf. In den Dörfern, durch die sie kamen, hingen großformatige braune Plakate, auf denen ein breit lächelnder Landser seine Hand ausstreckte. Deutschland ist dein Freund , stand darauf zu lesen. Es war die gleiche Straße, die er im Pferdewagen zurückgelegt hatte, als sie an jenem Sonntag zur Cava della Carbonera gefahren waren, um den Großen Monolithen zu bestaunen. An jenem Sonntag, als ihm Laura aus der Hand gelesen und er seinen Arm zum ersten Mal um ihre Schultern gelegt hatte. Wie überzeugend hatte sie ihm klargemacht, dass ihre Liebe keine Zukunft hätte!
Für einen Moment wünschte er sich, er hätte auf sie gehört, auf sie und auf die Vernunft. Aber da war jener Steinblock gewesen, jenes Wunder an Vollkommenheit, das am Eingang der Cava lag, weiß und makellos, strahlend wie ein Traum, wie ein Versprechen, das nur darauf zu warten schien, ausgesprochen zu werden, gefüllt zu werden mit einer beliebigen Sehnsucht. Und gottgleich, wie nur etwas Absolutes sein kann, würde er erfüllen, was man sich wünschte, so schien es. Alles war möglich, es gab keine Grenzen, keine Zukunft, die nicht hätte gedacht werden können.
Wie anders fühlte er sich heute! Maximilian dachte an den hastigen Aufbruch in der Casa Letizia zurück, an das Gedicht, das er Laura noch schnell auf den Küchentisch gelegt hatte. Wie ein Abschiedsbrief, dachte er. Er hatte es in der Nacht geschrieben.
Deine Augen
Kommen wird der Tag, fiebrig,
befeuert von zahllosen Versprechen,
wird gierig mich umarmen,
wird meinen Namen tragen
und meine Augen haben.
Kommen wird die Nacht, zögernd,
licht und warm wie endlos lange Tage,
wird seufzend sich erbarmen,
wird deinen Namen tragen
und deine Augen haben.
Kommen wird der Tod, morgen,
gefangen in sprachlos stillem Stolz,
wird müde mich umsorgen,
wird meinen Namen tragen
und deine Augen haben.
Unten auf dem Platz, dort wo sich die Menschen aufgeregt gedrängt hatten an jenem Tag, standen Lastwagen. Ein Nachzügler rumpelte den steilen Abhang vom Steinbruch herunter und stellte sich dazu. Sein Motor erstarb mit einem Seufzer. Eine letzte Wolke Ruß quoll aus dem Auspuff und wurde vom Talwind davongetragen. Überall standen Soldaten, Wagen und Motorräder, doch es war seltsam still.
Maximilians Fahrer hatte gewartet, bis der Lastwagen den Weg freigemacht hatte, und fuhr dann selbst die in der Abraumhalde kaum sichtbare Spur hinauf.
Am Eingang zum Steinbruch standen einige schwerbewaffnete SS-Männer. Der Wagen hielt neben der alten Holzbaracke, und sie stiegen aus.
„Folgen Sie mir, bitte.“ Sein Begleiter schien plötzlich höflich und bemüht. Mit einer Hand wies er ihm den Weg.
Gleich hinter dem Eingang überquerten sie eine weite steinerne Fläche. Dort, wo das Wasser zu hoch stand, überbrückten morsche Holzstege die grünschwarzen Pfützen. Schon lange war hier nicht mehr gearbeitet worden. Überall verrostete Eisen, faulten Seile und Holzscheite vor sich hin. Noch stand die Sonne am Himmel, doch je weiter sie in den Berg drangen, die Steinwände in die Höhe wuchsen und näher rückten, umso blasser schien sie zu werden. Maximilian fröstelte. Dann öffnete sich der Boden, und ein tiefer Krater tat sich vor ihnen auf. Dort, tief unter ihnen, war es dunkel. Die Marmorwände um sie herum, waren weiß und glatt und senkrecht. Nur das quadratische Muster der ausgeschnittenen Blöcke und die grünbraunen Spuren der Moose waren darauf zu sehen. Überall klafften schwarze Löcher, öffneten sich Stollen und Höhlen im Berg. Es roch muffig und feucht.
Dann hallte die lange Salve eines Maschinengewehrs durch den steinernen Dom, zersprang an den Wänden, um tausendfach zurückgeworfen zu werden, sich explosionsartig aufzuschaukeln und genauso plötzlich in sich zusammenzufallen, als hätten die Töne sich gegenseitig ausgelöscht. Am Abgrund vorbei gingen sie nach rechts zu einem kleinen Platz. Hier liefen Soldaten hin und her. Sie holten Menschen in kleinen Gruppen aus einer Höhle und führten sie in einen Stollen.
Maximilians Herz hämmerte in seiner Brust, als er schließlich Hauptmann Engel gegenüberstand. „Was geht hier vor?“
„Das ist zwar nicht das Jüngste
Weitere Kostenlose Bücher