Die Nachtwächter
Oberfeldwebel?«
»Bist du einen Dollar wert ?«
»Ich habe ihn meiner Mutter gegeben.«
»Hast du ihr gesagt, woher er stammt?«
»Ich wol te ihn gar nicht!«, entfuhr es Sam. »Aber Korporal Schrul e
meinte…«
»War er es wert, auf ihn zu hören?«
»Ich weiß nicht, Oberfeldwebel.«
»Du weißt es nicht? Ich wette, deine Mutter hat dich nicht dazu
erzogen, auf diese Weise zu denken«, sagte Mumm. Nein, das hat sie
gewiss nicht, dachte er. Ob Polizist oder nicht: Sie würde dir das Fel
über die Ohren ziehen, wenn sie wüsste, dass es ein schmutziger Dol ar
ist.
»Nein, Herr. Aber sie machen es al e, Herr. Unsere Jungs meine ich
nicht, aber man braucht sich nur mal in der Stadt umzusehen. Die
Mieten steigen, die Steuern ebenfal s, und es gibt immer neue Steuern,
und es ist al es schrecklich, Oberfeldwebel, einfach schrecklich. Winder
hat uns an seine Schergen verkauft, das ist die reine Wahrheit, Herr.«
»Hm«, erwiderte Mumm. O ja. Verkauf von Steuern. Eine tol e
Erfindung. Guter alter Winder. Er hatte das Recht, Steuern zu erheben,
an die Meistbietenden verschachert. Wirklich eine großartige Idee, fast
so gut wie das Verbot, nach Einbruch der Dunkelheit Waffen zu tragen.
Man sparte a) die Kosten, die Steuereintreiber und Finanzverwaltung
verursachten, und bekam b) gleich jede Menge Bargeld im Voraus. Und
die Aufgabe der Besteuerung kam c) Leuten zu, die einerseits sehr
einflussreich waren und sich andererseits nicht gern in der
Öffentlichkeit zeigten. Allerdings beauftragten diese Leute wiederum
Leute, die nicht nur ins Licht traten, sondern es sogar verdunkelten,
und es war erstaunlich, was diese Burschen al es besteuerten. Sie erhoben sogar Abgaben auf Was-starrst-du-mich-so-an-Kumpel. Wie hatte es
Vetinari einmal ausgedrückt? »Die Besteuerung ist nur eine raffinierte
Methode, mit Drohungen Geld zu verlangen.« Die neuen
Steuereintreiber zeigten große Entschlossenheit, ihre Investitionen
wieder hereinzubekommen.
Mumm erinnerte sich an jene… an diese Tage. Die Stadt hatte nie
ärmer gewirkt, aber bei den Göttern: Es wurden jede Menge Steuern
gezahlt.
Unter solchen Umständen fiel es schwer, einem Jungen wie Sam zu
erklären, warum es falsch war, einen zusätzlichen Dol ar einzustecken,
wenn man Gelegenheit dazu bekam.
»Sieh es einmal so…«, sagte Mumm, als sie um eine Ecke schritten.
»Würdest du einen Mörder für tausend Dollar laufen lassen?«
»Nein, Herr!«
»Tausend Dol ar gäben deiner Mutter die Möglichkeit, sich an einem
hübschen Ort in einem guten Teil der Stadt niederzulassen.«
»Ausgeschlossen, Oberfeldwebel. Ich gehöre nicht zu dieser Sorte.«
»Du warst einer von dieser Sorte, als du den Dollar genommen hast.«
Sie gingen weiter, begleitet von verdrossenem Schweigen. »Schmeißt
du mich raus, Oberfeldwebel?«, fragte Sam schließlich.
»Für einen Dollar? Nein.«
»Aber vielleicht wäre es besser, wenn du mich rausschmeißt«, sagte der junge Sam trotzig. »Letzten Freitag mussten wir los und eine
Versammlung drüben bei der Universität auflösen. Die Leute sprachen
nur miteinander! Und wir mussten Befehle von einem Zivilisten
entgegennehmen, und die Jungs von der Ankertaugasse waren ein
wenig grob, und… die Leute hatten gar keine Waffen oder so. Ich finde
das nicht richtig, Herr. Und dann brachten wir einige Leute in den Wagen, nur weil sie redeten. Und Frau Aulichs Sohn Emil kam vorletzte Nacht nicht nach Hause – angeblich hat man ihn zum Palast gebracht,
weil er Seine Lordschaft ›verrückt‹ nannte. Jetzt sehen mich die Leute in
unserer Straße komisch an.«
Bei den Göttern, ich erinnere mich daran, dachte Mumm. Ich habe
mir damals vorgestellt, es ginge nur darum, Schurken zu verfolgen, die
nach einigen Dutzend Metern aufgeben und »Bist ein guter Polizist,
Chef« sagen. Ich war sicher, am Ende der ersten Woche eine Medaille
zu bekommen.
»Du solltest vorsichtig sein mit dem, was du sagst, Junge«, sagte
Mumm.
»Ja, aber meine Mutter meint, es gäbe nichts dagegen einzuwenden,
wenn sie die Unruhestifter und Irren fortbringen, aber es sei nicht
richtig, wenn sie ganz normale Leute wegschaffen.«
Bin das wirklich ich?, dachte Mumm. Hatte ich tatsächlich das
politische Bewusstsein einer Kopflaus?
»Und außerdem ist er verrückt. Schnappüber sol te ihn ersetzen.«
… und den Selbsterhaltungstrieb eines Lemmings?
»Ich gebe dir einen guten Rat, Junge. Wenn du derzeit in dieser Stadt
nicht weißt,
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