Die Nachtwächter
Gedanke war: In dieser Stadt? Unter Schnappüber? Jetzt?
Wir wären nur eine weitere Bande. Der dritte Gedanke war: Dies ist
verrückt. Es kann nicht geschehen. Es ist nie geschehen. Du möchtest nach Hause, zu Sybil zurück.
Die ersten beiden Gedanken schlurften beiseite, schämten sich und
murmelten: Ja, natürlich… Sybil… völ ig klar… in Ordnung…
Tschuldigung… Ihre Stimmen wurden leiser und verklangen schließlich ganz.
»Ich hatte immer das Talent, Vielversprechendes zu erkennen«, sagte
Madame, während Mumm noch ins Leere starrte.
Der vierte Gedanke stieg durch die Dunkelheit auf wie ein grässliches
Ungeheuer aus der Tiefe.
Du hast erst beim dritten Gedanken an Sybil gedacht, flüsterte er. Mumm blinzelte.
»Du weißt, was die Stadt braucht…«, begann Madame.
»Ich möchte nach Hause«, sagte Mumm. »Ich erledige die Aufgabe,
die vor mir steht, und dann kehre ich heim. Etwas anderes kommt für
mich nicht in Frage.«
»Es gibt Leute, die sagen würden: Wenn du nicht für uns bist, bist du
gegen uns«, gab Madame zu bedenken.
»Für dich? Für was? Für irgendetwas ? Nein! Aber ich bin auch nicht für Winder. Ich sol nicht ›für‹ jemanden sein. Und ich lasse mich nicht
bestechen. Auch dann nicht, wenn Sandra mich mit einem Giftpilz
bedroht.«
»Ich glaube, es war ein Pilz aus Holz.« Die Frau sah ihn an und
lächelte. »Du bist unbestechlich?«
Lieber Himmel, es geht wieder los, dachte Mumm. Warum habe ich
gewartet, bis ich verheiratet war, bevor ich für einflussreiche Frauen
sonderbar attraktiv wurde? Warum ist das nicht passiert, als ich
sechzehn war? Damals hätte ich so etwas gebrauchen können.
Er versuchte, durchdringend zu blicken, machte es dadurch aber
wahrscheinlich noch schlimmer.
»Ich bin einigen unbestechlichen Männern begegnet«, sagte Madame
Meserole. »Sie neigen dazu, einen schrecklichen Tod zu sterben. Weißt du, die Welt gleicht sich aus. Ein korrupter Mann in einer guten Welt oder
ein guter Mann in einer korrupten Welt – am Resultat der Gleichung
ändert sich nichts. Wer sich nicht für eine Seite entscheidet, wird von
der Welt schlecht behandelt.«
»Mir gefällt die Mitte«, sagte Mumm.
»So bekommst du zwei Feinde. Es erstaunt mich, dass du dir so viele leisten kannst, nur mit dem Sold eines Oberfeldwebels. Bedenke, auf
was du verzichtest.«
»Oh, ich denke daran. Und ich werde den Leuten nicht beim Sterben
helfen, nur um einen Narren durch einen anderen zu ersetzen.«
»Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als mich von dir zu
verabschieden. Ich bedauere sehr, dass wir nicht…«
»… ins Geschäft kommen?«, fragte Mumm.
»Dass wir keine für beide Seiten vorteilhafte Vereinbarung treffen
können – das wol te ich sagen. Wir sind nicht weit von deinem
Wachhaus entfernt. Ich wünsche… dir… Glück.«
Madames Nicken galt der Tür hinter Mumm. »Wie schade«, sagte sie
und seufzte.
Mumm trat in die regnerische Nacht, verlagerte das Gewicht vom einen
Bein auf das andere und versuchte einige Schritte.
Ecke Leichte Straße und Sirupminenstraße. Eine Mischung aus
flachen Kopfsteinen und alten Ziegeln. Ja.
Er ging nach Hause.
Eine Zeit lang verweilte Madames Blick auf der geschlossenen Tür,
dann drehte sie den Kopf, als sich die Flammen der Kerzen bewegten.
»Du bist wirklich sehr gut«, sagte sie. »Wie lange bist du schon hier?«
Havelock Vetinari trat aus dem Schatten in der Ecke. Er trug nicht
das offizielle Schwarz der Assassinen, sondern weite Kleidung, die…
eigentlich gar keine richtige Farbe hatte, nur verschiedene Arten von
Grau.
»Ich bin schon ziemlich lange hier«, sagte er und sank in den Sessel, in
dem bis eben Mumm gesessen hatte.
»Nicht einmal die Schmerzlichen Schwestern haben dich bemerkt?«
»Die Leute sehen, ohne zu sehen. Der Trick besteht darin, ihnen zu
helfen, nichts zu sehen. Aber ich glaube, Keel wäre imstande gewesen,
mich zu bemerken, wenn ich nicht dort drüben gestanden hätte. Er
begegnet Schatten mit besonderer Aufmerksamkeit. Interessant.«
»Er ist ein sehr zorniger Mann«, sagte Madame.
»Du hast ihn noch zorniger gemacht.«
»Ich glaube, du bekommst deine Ablenkung«, sagte Madame.
»Das glaube ich auch.«
Madame beugte sich vor und klopfte ihm aufs Knie.
»Na bitte, deine Tante denkt an alles…« Sie stand auf. »Ich sollte jetzt
besser gehen und meine Gäste unterhalten. Ich bin eine sehr
unterhaltsame Person. Morgen Abend wird Lord Winder nicht
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