Die Nachtwächter
beigebracht? Ab einem gewissen Alter wurde das Gedächtnis tatsächlich unzuverlässig…
Die Stadtuhren schlugen drei Viertel.
»Wann beginnt die Ausgangssperre?«, flüsterte Mumm.
»Um neun Uhr, Oberfeldwebel.«
»Jetzt dürfte es fast so weit sein«, sagte Mumm.
»Nein, Oberfeldwebel. Es ist erst Viertel vor neun.«
»Nun, ich brauche einige Minuten, bis ich zurückkomme. Ich möchte, dass du hinter mir her schleichst und an der Ecke wartest. Wenn es beginnt, läufst du los und läutest deine Glocke.«
»Wenn was beginnt, Oberfeldwebel? Oberfeldwebel?«
Mumm ging geräuschlos durch die Straße. Er beschloss, Schnauzi mit einem Dollar zu belohnen – die Stiefel waren wie Handschuhe für die Füße.
Fackeln brannten an der Kreuzung und blendeten jeden, der in ihre Richtung sah. Auf leisen Sohlen schlich Mumm durch den Halbschatten am Rand des erhellten Bereichs und schob sich an der Mauer entlang, bis er den Torbogen erreichte. Dort schwang er abrupt herum und rief:
»Hab dich, Kumpel!«
»––––––!«, sagte der Schatten.
»Das ist eine Anstoß erregende Ausdrucksweise, und ich möchte nicht, dass mein junger Gefreiter so etwas hört!«
Mumm hörte, wie sich Sam näherte und dabei seine Glocke läutete. »Neun Uhr, und es ist nicht alles gut!« Mit halbem Ohr nahm Mumm noch andere Geräusche wahr. Sie stammten von Türen, die hastig geschlossen wurden, und von Schritten, die sich rasch entfernten.
»Du verdammter Narr!«, stieß die zappelnde, in Schwarz gekleidete Gestalt hervor. »Was erlaubst du dir?« Er versetzte Mumm einen Stoß, woraufhin der noch fester zugriff.
»Das ist tätlicher Angriff auf einen Wächter«, sagte Mumm.
»Ich gehöre ebenfalls zur Wache, du armer Irrer! Ich komme aus der Ankertaugasse.«
»Wo ist deine Uniform?«
»Wir tragen keine Uniform!«
»Wo ist deine Dienstmarke?«
»Wir haben keine Dienstmarke dabei!«
»Dann lässt sich kaum einsehen, warum ich dich nicht für einen gemeinen Dieb halten sollte. Du hast das Haus da drüben ausbaldowert«, sagte Mumm und fühlte sich herrlich in der Rolle des großen, dummen, grässlich unerschütterlichen Polizisten. »Wir haben dich
gesehen
.«
»Dort sollte ein Treffen gefährlicher Anarchisten stattfinden!«
»Was für eine Art Religion ist das?« Mumm klopfte den Gürtel des Mannes ab. »Was haben wir denn hier? Einen sehr scheußlichen Dolch. Siehst du das hier, Gefreiter Mumm? Eine Waffe, kein Zweifel! Das ist gegen das Gesetz. Nach Einbruch der Dunkelheit getragen, das ist noch mehr gegen das Gesetz! Außerdem ist es eine
verborgene
Waffe!«
»Was soll das heißen, verborgen?«, heulte der sich hin und her windende Gefangene. »Sie steckte in der verfluchten Scheide!«
»Hast sie wohl auch noch verfluchen lassen? Damit der Dolch besser wirkt, wie?«, fragte Mumm. Er schob die Hand in die Jackentasche des Mannes. »Und… was ist das hier? Eine kleine, schwarze Samtrolle mit, wenn ich mich nicht irre, einem kompletten Dietrichsatz? Das ist eindeutig ›für den Einbruch gerüstet‹«
»Das gehört mir nicht, wie du sehr wohl weißt!«, knurrte der Mann.
»Bist du sicher?«, fragte Mumm.
»Ja! Weil ich
meine
Dietriche in der Innentasche trage, du Mistkerl!«
»Das ist ›Verwendung von Worten, die den öffentlichen Frieden stören könnten‹«, sagte Mumm.
»Was? Ihr Idioten habt doch alle Leute verscheucht! Wer könnte Anstoß daran nehmen?«
»
Ich
zum Beispiel. Und das möchtest du sicher vermeiden.«
»Du bist der dämliche Oberfeldwebel, von dem wir gehört haben«, grollte der Mann. »Zu bescheuert, um zu begreifen, was vor sich geht. Jetzt erwartet dich eine kleine Überraschung…«
Er wand sich aus Mumms Griff, und zweimal kratzte es metallisch. Unterarmmesser, dachte Mumm. Selbst Assassinen hielten sie für idiotische Waffen.
Er wich zwei Schritte zurück, als der Mann nach vorn tanzte und mit den Messern fuchtelte.
»Fällt dir auch hierauf eine Antwort ein, du hirnloser Narr?« Entsetzt beobachtete Mumm, wie Sam hinter dem Mann langsam seine Glocke hob.
»Schlag ihn nicht!«, rief er und trat mit dem Stiefel zu, als der Mann den Kopf drehte.
»Wenn du kämpfen musst, so kämpfe«, sagte er, als der Mann nach vorn fiel. »Und wenn du reden willst, so rede. Aber versuch nicht, zu reden
und
zu kämpfen. Derzeit rate ich dir, sowohl das eine als auch das andere zu unterlassen.«
»Ich hätte ihn leicht erledigen können, Oberfeldwebel«, klagte Sam, als Mumm die Handschellen
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