Die Nachtwanderin
sie jedoch die Tür hinter sich zu, um Ardric zu zeigen, was sie davon hielt. Mimma ließ sich ein Bad ein, denn ihr war kalt und sie fühlte sich nicht wohl. Während sich die Wanne langsam füllte und sich immer mehr Schaum darauf bildete, lief sie mit verschränkten Armen vor der Brust im Badezimmer auf und ab. Sie war wütend und traurig und sie fühlte sich so einsam, wie noch niemals zuvor in ihrem Leben. Als die Wanne voll genug war, drehte sie das Wasser aus, streifte sich ihre Kleidung ab und glitt vorsichtig in das warme Wasser. Der Badeschaum gab knisternde Geräusche von sich. Mimma lehnte sich in der Wanne so weit zurück, bis das warme Wasser ihre Ohren bedeckt hatte. Sie schloss ihre Augen und versuchte sich zu entspannen. Währenddessen lauschte sie ihrem rhythmischen Atem und wie das Blut in ihren Ohren rauschte. Ihr Herz schlug kräftig und ungebändigt in ihrer Brust. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass dieses Herzklopfen demnächst ein Ende haben sollte.
Plötzlich fing erst ihr Brustkorb an zu zucken, dann wurde ihr gesamter Körper von dem Zucken ergriffen. Sie hielt die Luft an und versuchte das aufsteigende Wimmern zu unterdrücken, doch es bahnte sich unaufhaltsam seinen Weg durch ihre Kehle, vorbei an ihren Stimmbändern. Das Wimmern drang aus ihren Mund und wurde von den hervorquellenden Tränen, die ungebremst aus ihren Augen flossen, begleitet. Mimma konnte es nicht mehr unterdrücken und begann schmerzerfüllt zu schluchzen. Sie setzte sich in der Wanne auf, zog ihre Knie an ihre Brust und umschlang mit ihren Armen ihre Beine. Ihre Tränen heulte sie in ihren Schoß. Ihr Körper wurde von ihrem Schluchzen regelrecht durchgeschüttelt und sie zitterte am ganzen Leib. Mimmas schmerzerfülltes Wehklagen drang auch an Ardrics Ohren, der auf der Couch saß und den Sonnenaufgang betrachtete. Er ertrug es nicht länger, stand von der Couch auf und ging zum Badezimmer. Doch vor der Tür blieb er stehen und war sich unschlüssig, was er tun sollte. Er starrte die Tür an und legte eine Hand auf das glatte Holz. Ardric zögerte und wusste nicht, ob er Mimma lieber mit ihrem Schmerz alleine lassen, oder ob er sie trösten sollte.
Mimmas Schmerz und Trauer konnte er nur allzu gut selbst nachempfinden, denn auch er hatte einst so empfunden, wie sie und er hätte sich damals gewünscht jemanden bei sich zu haben, der ihm den Schmerz und die Trauer genommen hätte. Doch mit den Jahrzehnten verblasste seine Menschlichkeit, die er krampfhaft versuchte beizubehalten. Irgendwann wurde ihm klar, dass er seine menschlichen Gefühle tief im innersten verbannen musste, um als Vampir in dieser Welt überhaupt existieren und bestehen zu können.
Ardric gab sich einen Ruck, drückte die Klinke herunter und öffnete die Badezimmertür. Mimma kauerte wie ein Häufchen Elend im Wasser, umgeben von viel zu viel Badeschaum und weinte sich all ihren Schmerz von der Seele. Sie schien gar nicht mitzubekommen, dass Ardric sich neben die Wanne auf den Fußboden gesetzt hatte. Erst als er ihr tröstend seine kalte Hand auf ihren Rücken legte, zuckte sie erschrocken zusammen, doch seine Anwesenheit schien sie nicht zu stören. Ungehalten weinte sie weiter, während Ardric ihr sanft über den Rücken streichelte. Nach einer Weile versiegte Mimmas Schluchzen und es flossen auch keine Tränen mehr. Ihr Körper bebte nur noch wenige Male kurz auf, als sie schniefte. Mimma verharrte noch einen Moment, um sich zu beruhigen. Dann fand sie endlich wieder ihre Stimme.
"Danke", flüsterte sie kleinlaut und drehte ihren Kopf in Ardrics Richtung.
"Keine Ursache", erwiderte er ihr freundlich und lächelte sie mitfühlend an. Mimma hielt ihre Knie noch immer fest umschlungen, denn durch diese Körperhaltung und den ganzen Badeschaum, konnte Ardric kaum etwas von ihrem nackten Körper sehen.
"Mein kleiner Aussetzer tut mir wirklich leid", sagte sie dann entschuldigend.
"Kleiner Aussetzer?
Wir haben Glück, dass die Menschen in der Skybar dich für sturzbetrunken hielten und an Vampire nicht glauben", sagte Ardric kopfschüttelnd und grinste dabei vor sich hin.
"Aber ich nehme deine Entschuldig gerne an", fügte er hinzu.
"Und mir tut es leid, dass ich so ausgerastet bin und dir Angst gemacht habe", sagte Ardric und setzte ein verzeihendes Lächeln auf.
"Entschuldigung angenommen", sagte Mimma und konnte sich sogar selbst wieder ein kleines Lächeln abringen. Langsam wurde es Mimma in der Wanne kalt und sie begann leicht zu zittern.
Weitere Kostenlose Bücher