Die Nadel.
wie sie nackt dalag und ihn dazu trieb, immer
seltsamere und erotischere Dinge mit ihr anzustellen: ihr weh zu tun; sich selbst zuberühren; völlig still zu liegen, während sie aktiv war . . . Faber
schüttelte leicht den Kopf, um die Erinnerung zu verscheuchen. In all den Jahren, in denen
er enthaltsam gelebt hatte, waren ihm keine so verwirrenden Visionen gekommen. Er blickte
Lucy an.
»Sie waren weit weg«, sagte sie mit einem Lächeln.
»Erinnerungen. Dieses Gespräch über die Liebe . . . «
»Ich sollte Sie nicht
mit meinen Problemen belasten.«
»Das tun Sie nicht.«
»Gute
Erinnerungen?«
»Sehr gute. Und Ihre? Sie haben doch auch nachgedacht.«
Sie
lächelte wieder. »Ich war in der Zukunft, nicht in der Vergangenheit.«
»Was
sehen Sie dort?«
Sie schien antworten zu wollen, überlegte es sich dann aber
anders, setzte noch einmal an, schwieg dann aber doch. Zeichen innerer Spannung waren um
ihre Augen herum zu sehen.
»Ich sehe, daß Sie einen anderen Mann finden.«
Während Faber sprach, dachte er: Was soll das? »Er ist schwächer als David und sieht
weniger gut aus. Aber Sie lieben ihn wegen seiner Schwächen. Er ist klug, aber nicht
reich, mitfühlend, ohne sentimental zu sein, zärtlich, gütig, liebevoll. Er – « Das
Brandyglas in ihrer Hand zersprang unter dem Druck ihrer Finger. Die Scherben fielen auf
ihren Schoß und auf den Teppich, doch sie achtete nicht darauf. Faber ging hinüber zu
ihrem Sessel und kniete vor ihr nieder. Ihr Daumen blutete. Er nahm ihre Hand.
»Sie
haben sich verletzt.«
Lucy blickte ihn an. Sie weinte.
»Es tut mir
leid.«
Die Schnittwunde war nicht tief. Sie zog ein Taschentuch aus der Hosentasche
und stillte das Blut. Faber ließ ihre Hand los und begann, die Glasscherben
aufzuheben. Wenn er Lucy doch nur geküßt hätte, als er eben die Gelegenheit dazu hatte!
Er legte die Scherben auf den Kaminsims.
»Ich wollte Sie nicht aus der Fassung
bringen«, sagte er, und er dachte: Wollte ich das nicht?
Sie nahm das Taschentuch weg und betrachtete ihren Daumen. Er blutete
immer noch.
Doch, ich wollte es! Und ich habe es geschafft, triumphierte er
innerlich. »Vielleicht ein kleiner Verband«, schlug er vor.
»In der Küche.«
Er fand eine Rolle Verbandsmaterial, eine Schere und eine Sicherheitsnadel. Nachdem er
eine kleine Schüssel mit heißem Wasser gefüllt hatte, ging er ins Wohnzimmer
zurück.
Sie sah nicht mehr verweint aus. Sie saß schlaff und teilnahmslos da,
während er ihren Daumen in dem heißen Wasser badete, ihn trocknete und einen kleinen
Verbandsstreifen über die Schnittwunde legte. Die ganze Zeit über blickte sie in sein
Gesicht, nicht auf seine Hände, doch ihre Miene war nicht zu deuten.
Als Faber
fertig war, trat er unvermittelt zur Seite. Es war lächerlich; er hatte die Sache zu weit
getrieben. Es war Zeit, daß jeder in sein Bett ging. »Ich glaube, ich sollte jetzt
schlafen gehen.«
Sie nickte.
»Es tut mir leid – «
»Hören Sie
auf, sich zu entschuldigen. Es paßt nicht zu Ihnen.« Ihre Stimme klang barsch. Auch sie
mußte das Gefühl haben, daß das alles ein bißchen zu weit gegangen war.
»Bleiben Sie noch auf?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf.
»Bitte
. . . « Er ging zur Tür und hielt sie auf.
Lucy wich seinem Blick aus, als sie an
ihm vorbeiging. Er folgte ihr durch den Flur und die Treppe hinauf. Während er zusah, wie
sie die Stufen hinaufstieg, konnte er nicht anders, als sie sich in anderer Kleidung
vorzustellen: Ihre Hüften wiegten sich leicht unter einem Seidenstoff, ihre langen Beine
trugen Strümpfe statt einer grauen Wollhose, hochhackige Schuhe ersetzten die abgetragenen
Filzpantoffeln.
Oben auf der Treppe, auf dem winzigen Vorsprung, drehte sie sich um
und flüsterte: »Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Lucy.«
Sie sah ihn einen Moment lang an. Er wollte
nach ihrer Hand greifen, doch sie ahnte, was er beabsichtigte, wandte sich rasch ab, betrat
ihr Schlafzimmer und schloß die Tür, ohne sich noch einmal umzusehen. Er blieb mit
ausgestreckter Hand und geöffnetem Mund stehen und fragte sich, was in ihr und – vor
allem – was in ihm selbst vorgehen mochte.
VIERTER TEIL – KAPITEL 22
loggs fuhr gefährlich
schnell in einem beschlagnahmten Sunbeam Talbot mit frisiertem Motor durch die Nacht. Die
hügeligen, gewundenen schottischen Straßen glänzten vom Regen, standen an einigen tiefen
Stellen
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