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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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meinetwegen so lange aufgeblieben.«
    David bedeutete ihm mit
     einer Handbewegung, sich zu setzen. »Keine Ursache. Sie haben den ganzen Tag geschlafen,
     natürlich wollen Sie jetzt doch noch nicht ins Bett. Außerdem möchte Lucy sich bestimmt
     noch mit Ihnen unterhalten. Ich mute meinem Rücken einfach zuviel zu – der Rücken soll
     ja eigentlich seine Last mit den Beinen teilen.«
    »Dann nimm heute nacht lieber
     zwei Tabletten.« Lucy holte ein Fläschchen vom obersten Regal des Bücherschranks,
     schüttelte zwei Tabletten heraus und gab sie ihrem Mann.
    Er schluckte sie ohne
     Wasser hinunter. »Gute Nacht also.« Damit rollte er hinaus.
    »Gute Nacht,
     David.«
    »Gute Nacht, Mr. Rose.«
    Einen Moment später hörte Faber, wie
     David sich die Treppe hinaufzog, und fragte sich, wie er das machte.
    Lucy sprach, als wolle sie Davids Geräusch übertönen. »Wo wohnen Sie, Mr. Baker?«
    »Bitte, sagen Sie Henry zu mir. Ich wohne in London.«
    »Ich bin seit Jahren nicht mehr in London gewesen. Wahrscheinlich ist nicht mehr viel davon übriggeblieben.«
    »Es hat sich verändert, aber nicht so sehr, wie Sie vielleicht denken. Wann waren Sie zuletzt dort?«
    »1940.« Sie goß sich noch einen Brandy ein. »Seit wir hier sind, habe ich die Insel erst einmal verlassen, und das auch nur, um das Baby zu bekommen. Schließlich kann man heutzutage nicht viel reisen.«
    »Wieso sind Sie hierhergekommen?«
    »Mmm.« Sie setzte sich, nippte an ihrem Drink und schaute ins Feuer.
    »Vielleicht sollte ich nicht – «
    »Schon gut. Wir hatten einen Unfall, an unserem Hochzeitstag. Dabei hat David beide Beine verloren. Er war ausgebildeter Jagdflieger . . . Wahrscheinlich wollten wir beide weg von allem. Jetzt glaube ich, daß es ein Fehler war hierherzukommen, aber damals schien es eine gute Idee zu sein.«
    »Es hat seinem Groll eine Menge Zeit gegeben, sich zu entwickeln.«
    Sie warf ihm einen scharfen Blick zu. »Sie beobachten sehr genau.«
    »Es ist offensichtlich.« Er sprach sehr ruhig. »Sie verdienen so viel Unglück nicht.«
    Lucy zwinkerte mehrere Male. »Sie sehen zuviel.«
    »Das ist nicht schwierig. Warum machen Sie weiter, wenn es nicht klappt?«
    »Was soll ich Ihnen darauf sagen?« Oder sich selbst, daß sie so offen mit ihm redete. »Wollen Sie Klischees hören? Das Ehegelübde, das Kind, der Krieg . . . Wenn es noch eine Antwort gibt, so weiß ich kein Wort dafür.«
    »Schuldgefühl, vielleicht«, sagte Faber. »Aber Sie denken doch daran, ihn zu verlassen, oder?«
    Sie starrte ihn an und schüttelte voll Unglauben langsam den
     Kopf. »Woher wissen Sie das alles?«
    »In vier Jahren auf dieser Insel haben Sie
     die Kunst verlernt, sich zu verstellen. Außerdem sind diese Dinge von außen viel leichter
     zu durchschauen.«
    »Waren Sie schon mal verheiratet?«
    »Nein. Das meine ich
     ja.«
    »Wieso nicht? Ich finde, Sie hätten heiraten sollen.«
    Nun schaute
     Faber nachdenklich ins Feuer. Wieso eigentlich nicht? Die übliche Entschuldigung – sich
     selbst gegenüber – war sein Beruf. Doch darüber konnte er mit ihr nicht reden – und
     es wäre ohnehin eine zu platte Antwort gewesen. Plötzlich sagte er: »Ich traue mir nicht
     zu, daß ich jemanden so sehr lieben kann.« Die Worte waren ihm so herausgerutscht, ohne
     daß er darüber nachgedacht hatte. Ob sie stimmten? Dann fragte er sich, wie es Lucy
     gelungen war, ihn zu überrumpeln, als er gerade geglaubt hatte, sie zu entwaffnen.
    Eine Zeitlang sprach keiner ein Wort. Das Feuer ging langsam aus. Ein paar verirrte
     Regentropfen bahnten sich ihren Weg durch den Kamin und landeten zischend in den
     erkaltenden Kohlen. Nichts deutete darauf hin, daß der Sturm nachlassen würde. Faber
     mußte plötzlich an die Frau denken, die er zuletzt gehabt hatte. Wie hatte sie geheißen?
     Gertrud. Es war sieben Jahre her, aber er konnte sie jetzt im flackernden Feuer vor sich
     sehen: ein rundes deutsches Gesicht, blondes Haar, grüne Augen, schöne Brüste, viel zu
     breite Hüften, dicke Beine, unförmige Füße; ein unstillbares Plappermäulchen, eine
     wilde, unerschöpfliche Begeisterung für Sex . . . Sie hatte ihm geschmeichelt, indem sie
     seinen Intellekt bewunderte (wie sie sagte) und seinen Körper anbetete (was sie ihm nicht
     zu sagen brauchte). Sie schrieb Schlagertexte und las sie ihm in einer ärmlichen
     Kellerwohnung in Berlin vor: Es war kein einträgliches Geschäft. Er stellte sie sich in
     dem unordentlichen Schlafzimmer vor,

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