Die Nadel.
ich wollte ihn mir nicht vom
Wetter verderben lassen. Sind Sie Fischer?«
David schüttelte den
Kopf. »Schafzüchter.«
»Haben Sie viele Beschäftigte?«
»Nur einen, den
alten Tom.«
»Ich nehme an, daß es noch mehr Schaffarmen auf der Insel gibt.«
»Nein. Wir wohnen auf dieser Seite und Tom auf der anderen. Dazwischen gibt’s nichts
als Schafe.«
Faber nickte langsam. Das war gut, sehr gut. Eine Frau, ein Krüppel,
ein Kind und ein alter Mann würden kein Hindernis für ihn sein. Und er fühlte sich schon
viel kräftiger.
»Wie halten Sie Kontakt mit dem Festland?« fragte Faber.
»Alle zwei Wochen kommt ein Boot. Es ist am Montag fällig, aber wenn der Sturm
anhält, wird wohl nichts draus. In Toms Haus steht ein Funkgerät, aber das können wir
nur in Notfällen benutzen. Wenn man Sie suchen würde oder wenn Sie dringend ärztliche
Hilfe brauchten, würde ich es tun. Aber wie die Dinge stehen, halte ich das nicht für
nötig. Es hätte auch wenig Sinn; denn man kann Sie erst von der Insel herunterholen, wenn
der Sturm nachgelassen hat. Und dann kommt das Boot sowieso.«
»Natürlich.« Faber
verbarg seine Freude. Die Frage, wie er das U-Boot am Montag benachrichtigen sollte, hatte
ihn schon eine ganze Weile geplagt. Er hatte einen ganz normalen Radioempfängerim Wohnzimmer der Roses bemerkt, und zur Not hätte er daraus
einen Sender bauen können. Doch daß Tom ein echtes Funkgerät besaß, machte alles so
viel leichter.
»Wozu braucht Tom so etwas?« fragte Faber.
»Er gehört zum
Königlichen Flugmeldekorps. Aberdeen wurde im Juli 1940 bombardiert. Weil es keinen
Fliegeralarm gegeben hatte, starben fünfzig Menschen bei dem Angriff. Damals wurde Tom in
Dienst gestellt. Zum Glück ist sein Gehör besser als seine Sehkraft.«
»Vermutlich kommen die Bomber aus Norwegen?«
»Vermutlich.«
Lucy stand
auf. »Wollen wir nicht ins Wohnzimmer gehen?« Die beiden Männer folgten ihr. Faber
spürte keine Schwäche, kein Schwindelgefühl. Er hielt die Wohnzimmertür für David auf,
der dicht an das Kaminfeuer heranrollte. Lucy bot Faber Brandy an. Als er dankend ablehnte,
goß sie einen für ihren Mann und für sich ein.
Faber lehnte sich zurück und
musterte das Paar. Lucy sah wirklich auffallend gut aus: Sie besaß ein ovales Gesicht,
weit auseinanderstehende, ungewöhnlich bernsteinfarbene Augen, die an die einer Katze
erinnerten, und üppiges dunkelrotes Haar. Unter dem männlichen Fischerpullover und der
ausgebeulten Hose zeichte sich eine gute, füllige Figur ab. Wenn sie ihr Haar in Locken
legen würde und Seidenstrümpfe und ein Cocktailkleid anzöge, wäre sie eine berückende
Schönheit. Auch David wirkte fast hübsch – bis auf den Schatten eines sehr dunklen
Bartes. Sein Haar war beinahe schwarz, und er hatte einen südländischen Teint. Er wäre
groß gewesen, wenn er Beine gehabt hätte, die der Länge seiner Arme entsprachen. Faber
nahm an, daß diese Arme sehr kräftig und muskulös waren, wenn er den Rollstuhl schon
jahrelang damit fortbewegt hatte.
Ja, sie waren ein attraktives Paar – aber irgend
etwas stimmte ganz und gar nicht zwischen den beiden. Faber war kein Experte in Sachen Ehe,
doch bei seiner Ausbildung in Verhörtechniken hatte man ihm beigebracht, die stumme
Sprache des Körpers zulesen, aus kleinen Gesten zu entnehmen, ob jemand
erschrocken oder selbstbewußt war, etwas verbarg oder log. Lucy und David blickten
einander nur selten an und berührten sich nie. Sie sprachen mehr mit ihm als
miteinander. Die Spannung zwischen ihnen war enorm. Sie waren wie Churchill und Stalin, die
eine Zeitlang Seite an Seite kämpfen mußten und darum ihre tiefe Feindschaft nicht an die
Oberfläche kommen ließen. Faber fragte sich, welches Trauma wohl diesem distanzierten
Verhalten zugrunde lag. Dieses behagliche kleine Haus mußte ein Dampfdruckkessel der
Gefühle sein – trotz seiner Teppiche und seiner leuchtenden Farben, seiner geblümten
Sessel, lodernden Kaminfeuer und eingerahmten Aquarelle. Allein zu leben, mit diesem
untergründigen Haß und nur einem alten Mann und einem Kind als Gesellschaft . . . Faber
erinnerte sich an ein Stück, das er in London gesehen hatte, von einem Amerikaner mit dem
Vornamen Tennessee.
David stürzte plötzlich seinen Drink hinunter und sagte: »Ich
muß mich hinlegen. Mein Rücken tut weh.«
Faber erhob sich. »Entschuldigen Sie
– jetzt sind Sie
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