Die Nadel.
vorne verbeult und der Scheinwerfer zertrümmert war.
»O
Gott«, murmelte sie.
Das Fahrzeug kam ruckelnd vor dem Haus zum Stehen, und sie
erkannte, daß Henry am Steuer saß. Er machte keine Anstalten, auszusteigen. Lucy lief in
den Regen hinaus und öffnete die Fahrertür.
Henry saß mit zurückgelegtem Kopf
und halbgeschlossenen Augen da. Seine Hand lag auf der Bremse, sein Gesicht war blutig und
von Prellungen übersät.
Lucy fragte: »Was ist passiert? Was ist
passiert? «
Henrys Hand glitt von der Bremse, so daß der Wagen nach vorne
rollte. Lucy beugte sich über ihn und legte den Leerlauf ein. »Habe David in Toms Haus
gelassen . . . Hatte Unfall auf dem Rückweg . . . « Die Worte schienen Henry große Mühe
zu kosten.
Nun, da sie wußte, was geschehen war, ließ Lucys Panik nach. »Komm ins
Haus«, befahl sie. Henry nahm den Nachdruck in ihrer Stimme wahr. Er drehte sich zu ihr,
stellte den Fuß auf das Trittbrett, um auszusteigen, und fiel sofort zu Boden. Lucy sah,
daß sein Knöchel wie ein Ballon geschwollen war.
Sie legte die Hände unter seine
Achseln und zog ihn hoch. »Du mußt dein Gewicht auf den anderen Fuß verlagern und dich
auf mich stützen.« Dann schlang sie seinen rechten Arm um ihren Nacken und schleppte ihn
ins Haus.
Jo schaute mit großen Augen zu, während sie Henry ins Wohnzimmer und auf
das Sofa half. Faber legte sich mit geschlossenen Augen hin. Seine Kleidung war durchnäßt
und voller Schlamm.
»Jo, geh nach oben und zieh deinen Schlafanzug an, bitte.«
»Aber meine Geschichte ist noch nicht zu Ende. Ist er tot?«
»Er ist nicht tot,
aber er hat einen Unfall gehabt, und heute abend gibt es keine Geschichte. Jetzt geh!«
Als der Junge zu jammern anfangen wollte, blickte Lucy ihn drohend an. Er ging
hinaus.
Lucy holte die große Schere aus ihrem Nähkorb und schnitt Henry die
Kleidung vom Leib: zuerst die Jacke, dann die Latzhose und das Hemd. Verblüfft runzelte
sie die Stirn, als sie das an seinen linken Unterarm geschnallte Messer sah. Wahrscheinlich
diente es zum Fischesäubern. Henry schob ihre Hand weg, als sie versuchte, es
abzunehmen. Lucy zuckte die Achseln und kümmerte sich um seine Stiefel. Der linke und die
Socke darunter ließen sich leicht ausziehen, aber Henry schrie vor Schmerz auf, als sie
den rechten berührte.
»Er muß herunter«, erklärte sie ihm. »Du mußt tapfer
sein.«
Er lächelte seltsam belustigt und nickte dann zustimmend. Sie durchschnitt
den Schnürsenkel, faßte den Stiefel behutsam an und zog ihn aus. Danach trennte Lucy das
Gummiband der Socke durch und zog sie ebenfalls aus.
Jo kam herein und sagte: »Er
hat ja nur eine Unterhose an!«
»Seine Kleider sind alle naß.« Sie gab dem Jungen
einen Gutenachtkuß. »Geh schon ins Bett, Liebling. Ich decke dich nachher richtig
zu.«
»Gib Teddy einen Kuß.«
»Gute Nacht, Teddy.«
Jo ging
hinaus. Lucy blickte sich wieder nach Henry um. Seine Augen waren geöffnet, und er
lächelte. »Gib Henry einen Kuß«, sagte er.
Sie beugte sich über ihn und küßte
sein übel zugerichtetes Gesicht. Dann entfernte sie vorsichtig die Unterhose. Bei der
Hitze im Wohnzimmer würde seine nackte Haut rasch trocknen. Lucy füllte in der Küche
eine Schüssel mit warmem Wasser und gab einige Tropfen eines Desinfizierungsmittels hinzu,
um seine Wunden zu säubern. Sie fand eine Packung Watte und kam ins Wohnzimmer
zurück.
»Das ist das zweite Mal, daß du halbtot hier auftauchst.« Sie machte
sich an die Arbeit.
»Der übliche Funkspruch«, sagte Henry. Seine Worte kamen
abrupt.
»Bitte?«
»Warten- in- Calais- auf- eine- Phantomarmee . . .
»Henry, wovon
sprichst du?«
»Jeden- Freitag- und- Montag . . . «
Sie merkte, daß er im
Fieberwahn redete. »Sei ganz ruhig.« Sie hob seinen Kopf leicht an, um das getrocknete
Blut an der Beule abzuwischen.
Plötzlich setzte er sich aufrecht hin, blickte sie
grimmig an und fragte: »Welcher Tag ist heute? Welcher Tag ist heute?«
»Es ist
Sonntag, ganz ruhig.«
»Gut.«
Danach schwieg er, und sie durfte sein Messer
abschnallen. Sie wusch sein Gesicht, verband den Finger, der den Nagel verloren hatte, und
bandagierte seinen Knöchel. Als sie fertig war, betrachtete sie ihn für eine Weile. Er
schien zu schlafen. Sie berührte die lange Narbe auf seiner Brust und das sternförmige
Mal an seiner Hüfte. Der Stern war bestimmt ein Muttermal.
Lucy leerte
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