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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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vorne verbeult und der Scheinwerfer zertrümmert war.
    »O
     Gott«, murmelte sie.
    Das Fahrzeug kam ruckelnd vor dem Haus zum Stehen, und sie
     erkannte, daß Henry am Steuer saß. Er machte keine Anstalten, auszusteigen. Lucy lief in
     den Regen hinaus und öffnete die Fahrertür.
    Henry saß mit zurückgelegtem Kopf
     und halbgeschlossenen Augen da. Seine Hand lag auf der Bremse, sein Gesicht war blutig und
     von Prellungen übersät.
    Lucy fragte: »Was ist passiert? Was ist
     passiert? «
    Henrys Hand glitt von der Bremse, so daß der Wagen nach vorne
     rollte. Lucy beugte sich über ihn und legte den Leerlauf ein. »Habe David in Toms Haus
     gelassen . . . Hatte Unfall auf dem Rückweg . . . « Die Worte schienen Henry große Mühe
     zu kosten.
    Nun, da sie wußte, was geschehen war, ließ Lucys Panik nach. »Komm ins
     Haus«, befahl sie. Henry nahm den Nachdruck in ihrer Stimme wahr. Er drehte sich zu ihr,
     stellte den Fuß auf das Trittbrett, um auszusteigen, und fiel sofort zu Boden. Lucy sah,
     daß sein Knöchel wie ein Ballon geschwollen war.
    Sie legte die Hände unter seine
     Achseln und zog ihn hoch. »Du mußt dein Gewicht auf den anderen Fuß verlagern und dich
     auf mich stützen.« Dann schlang sie seinen rechten Arm um ihren Nacken und schleppte ihn
     ins Haus.
    Jo schaute mit großen Augen zu, während sie Henry ins Wohnzimmer und auf
     das Sofa half. Faber legte sich mit geschlossenen Augen hin. Seine Kleidung war durchnäßt
     und voller Schlamm.
    »Jo, geh nach oben und zieh deinen Schlafanzug an, bitte.«
    »Aber meine Geschichte ist noch nicht zu Ende. Ist er tot?«
    »Er ist nicht tot,
     aber er hat einen Unfall gehabt, und heute abend gibt es keine Geschichte. Jetzt geh!«
    Als der Junge zu jammern anfangen wollte, blickte Lucy ihn drohend an. Er ging
     hinaus.
    Lucy holte die große Schere aus ihrem Nähkorb und schnitt Henry die
     Kleidung vom Leib: zuerst die Jacke, dann die Latzhose und das Hemd. Verblüfft runzelte
     sie die Stirn, als sie das an seinen linken Unterarm geschnallte Messer sah. Wahrscheinlich
     diente es zum Fischesäubern. Henry schob ihre Hand weg, als sie versuchte, es
     abzunehmen. Lucy zuckte die Achseln und kümmerte sich um seine Stiefel. Der linke und die
     Socke darunter ließen sich leicht ausziehen, aber Henry schrie vor Schmerz auf, als sie
     den rechten berührte.
    »Er muß herunter«, erklärte sie ihm. »Du mußt tapfer
     sein.«
    Er lächelte seltsam belustigt und nickte dann zustimmend. Sie durchschnitt
     den Schnürsenkel, faßte den Stiefel behutsam an und zog ihn aus. Danach trennte Lucy das
     Gummiband der Socke durch und zog sie ebenfalls aus.
    Jo kam herein und sagte: »Er
     hat ja nur eine Unterhose an!«
    »Seine Kleider sind alle naß.« Sie gab dem Jungen
     einen Gutenachtkuß. »Geh schon ins Bett, Liebling. Ich decke dich nachher richtig
     zu.«
    »Gib Teddy einen Kuß.«
    »Gute Nacht, Teddy.«
    Jo ging
     hinaus. Lucy blickte sich wieder nach Henry um. Seine Augen waren geöffnet, und er
     lächelte. »Gib Henry einen Kuß«, sagte er.
    Sie beugte sich über ihn und küßte
     sein übel zugerichtetes Gesicht. Dann entfernte sie vorsichtig die Unterhose. Bei der
     Hitze im Wohnzimmer würde seine nackte Haut rasch trocknen. Lucy füllte in der Küche
     eine Schüssel mit warmem Wasser und gab einige Tropfen eines Desinfizierungsmittels hinzu,
     um seine Wunden zu säubern. Sie fand eine Packung Watte und kam ins Wohnzimmer
     zurück.
    »Das ist das zweite Mal, daß du halbtot hier auftauchst.« Sie machte
     sich an die Arbeit.
    »Der übliche Funkspruch«, sagte Henry. Seine Worte kamen
     abrupt.
    »Bitte?«
    »Warten- in- Calais- auf- eine- Phantomarmee . . .
    »Henry, wovon
     sprichst du?«
    »Jeden- Freitag- und- Montag . . . «
    Sie merkte, daß er im
     Fieberwahn redete. »Sei ganz ruhig.« Sie hob seinen Kopf leicht an, um das getrocknete
     Blut an der Beule abzuwischen.
    Plötzlich setzte er sich aufrecht hin, blickte sie
     grimmig an und fragte: »Welcher Tag ist heute? Welcher Tag ist heute?«
    »Es ist
     Sonntag, ganz ruhig.«
    »Gut.«
    Danach schwieg er, und sie durfte sein Messer
     abschnallen. Sie wusch sein Gesicht, verband den Finger, der den Nagel verloren hatte, und
     bandagierte seinen Knöchel. Als sie fertig war, betrachtete sie ihn für eine Weile. Er
     schien zu schlafen. Sie berührte die lange Narbe auf seiner Brust und das sternförmige
     Mal an seiner Hüfte. Der Stern war bestimmt ein Muttermal.
    Lucy leerte

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