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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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Gesicht des Verlierers nach
     einem Boxkampf.
    Faber hatte seine Ölhaut in Toms Häuschen gelassen. Seine Jacke
     und Hose waren jetzt vom Regen durchweicht und voller Schlamm. Er mußte sich rasch
     aufwärmen und abtrocknen.
    Als er das Lenkrad packte, durchzuckte ein brennenderSchmerz seine Hand. Er hatte den abgerissenen Fingernagel vergessen. Dies
     war die unangenehmste seiner Verletzungen. Er würde mit einer Hand fahren müssen.
    Faber gab langsam Gas und fand das, was er für die Straße hielt. Auf dieser Insel
     konnte er sich nicht verirren – er brauchte nur dem Klippenrand zu folgen, bis er Lucys
     Haus erreichte.
    Er mußte sich eine Lüge ausdenken, um Lucy zu erklären, was aus
     ihrem Mann geworden war. Natürlich könnte er ihr die Wahrheit sagen. Was sollte sie schon
     unternehmen? Wenn sie aber Schwierigkeiten machte, würde er sie töten müssen, doch in
     seinem Herzen fand er diese Vorstellung abscheulich. Während er langsam an der Klippe
     entlang durch den strömenden Regen und den heulenden Wind fuhr, wunderte er sich selbst
     über dieses neue Gefühl, diese Gewissensbisse, die er nie gekannt hatte. Es war das erste
     Mal, daß er jemanden widerwillig töten würde. Faber war nicht bar jeder Ethik – im
     Gegenteil. Er war zu der Überzeugung gelangt, daß das, was er tat, moralisch auf einer
     Ebene stand mit dem, was auf den Schlachtfeldern geschah. Seine Gefühle wurden in diesem
     Fall von seinem Verstand bestimmt. Zwar war er immer wieder der gleichen körperlichen
     Reaktion, der Übelkeit, ausgesetzt, nachdem er getötet hatte, aber das war und blieb ihm
     unverständlich, und deswegen ging er der Sache auch nicht auf den Grund.
    Weshalb
     also wollte er Lucy nicht töten?
    Das Gefühl stand auf einer Ebene mit jenem
     inneren Drang, aus dem heraus er der Luftwaffe seinerzeit falsche Koordinaten für
     St. Paul’s übermittelt hatte. Es war der Wunsch, etwas Schönes vor der Vernichtung zu
     bewahren. Lucy war ein erstaunliches Geschöpf, schön und schwer faßbar wie ein
     Kunstwerk. Faber konnte damit leben, ein Mörder zu sein, aber er eignete sich nicht zum
     Bilderstürmer. Sobald ihm dieser Gedanke gekommen war, merkte er, daß er auf eine
     seltsame Lebenseinstellung hindeutete. Aber Spione sind schließlich seltsame Menschen.
    Ihm fielen einige Kameraden ein, die zur selben Zeit wie ervon der
     Abwehr angeworben worden waren: Otto, der nordische Riese, der nach japanischem Vorbild
     zierliche Statuetten aus Seidenpapier herstellte und Frauen haßte; Friedrich, das listige
     kleine Mathematikgenie, das vor einem Schatten zusammenschrak und fünf Tage lang
     deprimiert war, wenn er ein Schachspiel verlor; Helmut, der Bücher über die Sklaverei in
     Amerika las und kurz darauf in die SS eintrat – alle waren unterschiedlich und auf ihre
     Weise seltsam. Wenn sie sonst noch etwas miteinander verband, wußte er nicht, was es
     war.
    Faber schien immer langsamer zu fahren. Der Regen und der Nebel wurden noch
     undurchdringlicher. Er begann wegen des Abgrundes zu seiner Linken unruhig zu
     werden. Obwohl ihm sehr heiß war, litt er unter Schüttelfrost. Plötzlich bemerkte er,
     daß er laut über Otto, Friedrich und Helmut geredet hatte; das waren Anzeichen von
     Fieberwahn. Mit aller Kraft dachte er nur daran, geradeaus zu fahren. Das Geräusch des
     Windes wurde immer gleichförmiger, und er fühlte sich zunehmend schläfrig. Einmal
     ertappte er sich dabei, daß er angehalten hatte und auf das Meer hinausstarrte. Er wußte
     aber nicht, wie lange er schon so gestanden hatte.
    Stunden schienen vergangen zu
     sein, als Lucys Haus ins Blickfeld rückte. Er steuerte darauf zu und dachte: Ich muß
     bremsen, bevor ich gegen die Wand pralle. In der Tür stand eine Gestalt, die ihn durch den
     Regen hindurch ansah. Er mußte sich so lange beherrschen, bis er ihr die Lüge erzählt
     hatte. Er durfte nicht vergessen, was er sagen wollte, nicht vergessen . . .
    Es war schon später Nachmittag, als der Geländewagen zurückkam. Lucy
     machte sich Sorgen um die Männer und war gleichzeitig ärgerlich, weil sie nicht zum Lunch
     erschienen waren. Während es immer später wurde, hatte sie immer mehr Zeit am Fenster
     verbracht und Ausschau gehalten.
    Als das Fahrzeug den leichten Abhang zum Haus
     herabrollte, wußte sie sofort, daß etwas nicht stimmte. Er fuhr äußerst langsam und in
     Schlangenlinien den Weg entlang und nur eine Personsaß darin. Aus der
     Nähe sah sie, daß er

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