Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
Vom Netzwerk:
gab es noch die Doppelagenten, doch ihr
     Wert war in Wirklichkeit weit geringer, als es sich der Geheimdienst erhofft hatte. Zwar
     hatten Funksprüche, welche die Abwehr an diese umgedrehten Spione gesandt hatte, von der
     Ankunft mehrerer neuer Agenten in England berichtet und dazu beigetragen, eine schon
     länger im Lande lebende Spionin zu entlarven: Mrs. Matilda Krafft aus Bornemouth, die mit
     der Post Geld an Snow geschickt hatte und danach ins Holloway-Gefängnis gesteckt worden
     war. Aber auch über die Doppelagenten war es nicht möglich gewesen, die Identität oder
     den Standort jener unauffälligen und tüchtigen professionellen Spione aufzudecken, die
     für einen Geheimdienst am wertvollsten sind. Niemand bezweifelte, daß es sie gab. Dafür
     waren Anhaltspunkte vorhanden: Jemand mußte zum Beispiel Snows Funkgerät aus Deutschland
     herübergebracht und in der Gepäckaufbewahrung von Victoria Station für ihn hinterlegt
     haben. Doch entweder die Abwehr oder die Spione selbst waren zu vorsichtig, um durch
     Kontaktaufnahme mit den Doppelagenten aufzufliegen.
    Jedenfalls standen auch diese
     Anhaltspunkte in Bloggs’ Kartei.
    Andere Quellen wurden zur Zeit erschlossen:
     Wissenschaftler im Dienst der Regierung waren dabei, die Methoden der trigonometrischen
     Netzlegung (der Funkpeilung von Sendern) zu verbessern; und MI6 versuchte, das Agentennetz
     in Europa wiederaufzubauen, das in der Flutwelle von Hitlers Armeen untergegangen war.
    Was darüber an kärglichen Erkenntnissen vorlag, hatte ebenfalls seinen Weg in
     Bloggs’ Kartei gefunden.
    »Es kann einen manchmal zur Raserei treiben», sagte er
     zu Godliman. »Schauen Sie sich das an.«
    Er entnahm der Kartei einen langen
     Funkspruch über britischePläne zur Entsendung einer
     Expeditionsstreitmacht nach Finnland. »Das wurde Anfang des Jahres abgefangen. Eine
     tadellose Information. Man versuchte gerade, den Mann zu orten, als er anscheinend ohne
     Grund mittendrin abbrach – vielleicht wurde er gestört. Einige Minuten später fing er
     erneut an, aber er hatte schon wieder aufgehört zu senden, bevor unsere Jungs ihn anpeilen
     konnten.«
    »Was soll das – ?Grüße an Willi??« fragte Godliman.
    »Ja, das ist wichtig«, sagte Bloggs. Er begann sich zu ereifern. »Hier ist ein Teil
     einer anderen Meldung, noch gar nicht lange her. Sehen Sie: ?Grüße an Willi.? Diesmal
     wurde ihm geantwortet. Er wird als ?die Nadel? bezeichnet. Der Bursche ist ein
     Profi. Schauen Sie sich seine Funksprüche an: knapp, sparsam, aber detailliert und völlig
     unmißverständlich.«
    Godliman studierte das Fragment der zweiten Nachricht. »Es
     scheint sich um die Wirkung der Bombenangriffe zu handeln.«
    »Er muß sich im East
     End umgetan haben. Ein Profi.«
    »Was wissen wir sonst noch über ihn?«
    Bloggs’ Gesicht verlor schlagartig den Ausdruck jugendlichen Eifers. »Das ist leider
     alles.«
    »Sein Codename ist ?die Nadel?; er verabschiedet sich mit ?Grüße
     an Willi?; er hat gute Informationen – und das ist alles?«
    »Tja, leider.«
    Godliman saß auf der Schreibtischkante und starrte aus dem Fenster. An der Mauer des
     gegenüber liegenden Gebäudes konnte er unter einem reichverzierten Fenstersims das Nest
     einer Mauerschwalbe erkennen.
    »Haben wir bei diesem Kenntnisstand irgendwelche
     Aussichten, ihn zu fassen?«
    Bloggs hob die Schultern. »So gut wie keine.«

ERSTER TEIL – KAPITEL 5
    as Wort »öde« muß für
     Orte wie diesen erfunden worden sein. Die Insel ist ein J-förmiger Felsbrocken, der sich
     mürrisch aus der Nordsee erhebt. Auf der Karte gleicht sie der oberen Hälfte eines
     zerbrochenen Spazierstocks; sie verläuft parallel zu den Breitengraden; der gebogene Griff
     weist nach Aberdeen, der zerbrochene, zerklüftete Stumpf zeigt drohend auf das ferne
     Dänemark. Die Insel ist zehn Meilen lang.
    An ihren Rändern ragen die Klippen
     großenteils schroff aus dem kalten Meer. Kein lieblicher Strand schmeichelt den
     Wellen. Erbittert über diese Grobheit, hämmern die Wellen in ohnmächtigem Zorn auf den
     Felsen ein – ein zehntausend Jahre währender Wutanfall, den die Insel ungestraft
     mißachtet.
    In der Biegung des J ist das Meer ruhiger, denn dort hat es sich selbst
     einen angenehmeren Zugang geschaffen. Seine Gezeiten haben so viel Sand und Tang, Treibholz
     und Kieselsteine und Muschelschalen in die Krümmung geworfen, daß dort nun zwischen dem
     Fuß der Klippen und dem Rand des Wassers eine

Weitere Kostenlose Bücher