Die Nadel.
mich nicht aufs hohe Roß setzen.«
Terry zündete sich eine neue Zigarette an.
»Canaris’ Spione in Großbritannien waren von Anfang an unfähig«, erklärte Terry,
als sei ihre Unterhaltung nicht schon vor drei Monaten, sondern erst vor fünf Minuten
unterbrochen worden. »Dorothy O’Grady war ein typischer Fall: Man erwischte sie dabei,
wie sie militärische Telephonleitungen auf der Insel Wight zerschnitt. Sie schickte Briefe
nach Portugal, die mit einer Art unsichtbarer Tinte geschrieben waren, wie man sie in
Geschäften für Scherzartikel kaufen kann.
Eine neue Welle von Spionen kam im
September herüber. Ihre Aufgabe war es, Großbritannien für die geplante Landung der
Deutschen auszukundschaften. Sie sollten Karten von Küstenstreifen anfertigen, die für
eine Invasion von See aus geeignet waren, von Feldern und Straßen, auf denen schwere
Segler mit Bodentruppen landen konnten, von Panzerfallen und Straßensperren und
Stacheldrahthindernissen.
Man schien sie schlecht ausgewählt, zu hastig
verpflichtet, unzureichend ausgebildet und miserabel ausgerüstet zu haben. Die vier, die
in der Nacht vom 2. zum 3. September kamen, sind ein gutes Beispiel. Meier, Kieboom, Pons
und Waldberg. Kieboom und Pons landeteten in der Morgendämmerung nicht weit von Hythe und
wurden von einem Gefreiten namens Tollervey von der Somerset Light Infantry verhaftet, der
sie dabei überraschte, wie sie in den Dünen eine große Wurst verputzten. Waldberg gelang
es sogar, einen Funkspruch nach Hamburg abzusetzen:
SICHER ANGEKOMMEN. DOKUMENT VERNICHTET.
ENGLISCHE PATROUILLE 200
METER VON DER KÜSTE.
STRAND MIT BRAUNEN NETZEN UND EISENBAHN-
SCHWELLEN IN EINER
ENTFERNUNG VON 50 METERN.
KEINE MINEN. WENIG SOLDATEN. UNVOLLENDETES
BLOCKHAUS. NEUE STRASSE. WALDBERG.
Offensichtlich
wußte er nicht, wo er war, und er hatte nicht einmal einen Codenamen besessen. Er war in
seiner Ausbildung so gut über England unterrichtet worden, daß er nichts von den
englischen Schankgesetzen wußte: Er betrat um 9 Uhr morgens einen Pub und bestellte ein
Viertel Cider.«
Godliman mußte darüber lachen, und Terry sagte: »Warte – es
kommt noch doller.
Der Gastwirt riet Waldberg, um 10 Uhr wiederzukommen. Er könne
in der Stunde doch die Dorfkirche besichtigen. Erstaunlicherweise ist Waldberg genau um 10
Uhr wieder aufgetaucht und wurde von zwei auf Fahrrädern herbeigeeilten Polizisten
verhaftet.«
»Das klingt wie eine Textvorlage für It’s That Man Again «,
warf Godliman ein.
»Meier wurde ein paar Stunden später gefunden. Elf weitere
Agenten wurden danach in wenigen Wochen aufgegriffen, die meisten von ihnen innerhalb von
Stunden nach ihrer Landung auf britischem Boden. Fast allen stand der Gang aufs Schafott
bevor.«
»Fast allen?«, fragte Godliman.
»Ja«, antwortete Terry. »Ein
paar wurden unserer Abteilung B1(a) übergeben. Ich komme gleich darauf zurück.
Andere landeten in der Republik Irland. Einer war Ernst Weber-Drohl, ein bekannter
Akrobat, der zwei uneheliche Kinder in Irland hat. Er war dort in Varietés als ?der
stärkste Mann der Welt? aufgetreten. Die Garda Siochana verhaftete ihn, belegte ihn mit
einer Geldstrafe von drei Pfund und überließ ihn B1(a).
Ein weiterer Fall war der
von Hermann Goetz. Er sprang irrtümlich mit dem Fallschirm über Nordstatt über
Südirland ab,wurde von der IRA ausgeraubt, durchschwamm die Boyne in
seiner gefütterten Unterwäsche und schluckte schließlich seine Giftkapsel. Er hatte eine
Taschenlampe bei sich, auf der ?Made in Germany? stand.
Warum beschäftigen wir
gescheite Burschen wie dich«, fuhr Terry fort, »wenn es so leicht ist, diese Stümper zu
schnappen?
Zwei Gründe. Erstens: Wir können nicht wissen, wie viele wir nicht
geschnappt haben. Zweitens: Entscheidend ist, was wir mit denen machen, die wir nicht
aufhängen. Hier kommt B1(a) ins Spiel. Aber um das zu erklären, muß ich bis ins Jahr
1936 zurückgehen.
Alfred George Owens war Elektroingenieur bei einer Firma, die
einige Regierungsaufträge erhalten hatte. Er besuchte Deutschland mehrmals in den
dreißiger Jahren und gab der Admiralität hin und wieder freiwillig technische
Informationen weiter, die er dort bekommen hatte. Schließlich reichte der
Marinegeheimdienst ihn an den MI6 weiter, der ihn als Agenten einsetzte. Die Abwehr warb
ihn ungefähr zur selben Zeit an – wie der MI6 herausfand –, als er einen Brief
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