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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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und tuckerte unter blauem Himmel in die Bucht von Storm Island
     hinein. Zwei Frauen waren an Bord: Die eine war die Frau des Kapitäns – er war
     eingezogen worden, und sie betrieb jetzt das Geschäft –, und die andere war Lucys
     Mutter.
    Sie verließ das Boot. Sie trug praktische Kleidung – eine Art
     Männerjacke und einen kniefreien Rock. Lucy umarmte sie mit aller Kraft.
    »Mutter!
     Was für eine Überraschung!«
    »Aber ich habe dir doch geschrieben.«
    Der
     Brief lag in der Post, die das Boot mitbrachte. Ihre Mutter hatte vergessen, daß die Post
     nur alle vierzehn Tage nach Storm Island kam.
    »Ist das mein Enkel? Ist er nicht ein
     großer Junge?«
    Der kleine Jo, der fast drei Jahre alt war, drehte sich schüchtern
     um und versteckte sich hinter Lucys Rock. Er war dunkelhaarig, hübsch und groß für sein
     Alter.
    »Ist er nicht wie sein Vater!« rief Mutter.
    »Ja«, sagte
     Lucy. »Frierst du dich nicht tot? Komm hinauf zum Haus. Wo hast du nur diesen Rock
     her?«
    Sie nahmen die Lebensmittel und stiegen die Rampe zur Spitze der Klippen
     hinauf. Mutter plapperte dabei. »Das ist jetzt Mode, mein Kind. Man spart Stoff. Aber auf
     dem Festland ist es nicht so kalt wie hier. So ein Wind! Ich kann meinen Koffer wohl an der
     Anlegestelle lassen – wer sollte ihn stehlen! Jane ist mit einem amerikanischen Soldaten
     verlobt – einem Weißen, Gott sei Dank. Er kommt aus Milwaukee und mag kein Kaugummi. Ist
     das nicht schön? Nun brauche ich nur noch vier Töchter zu verheiraten. Dein Vater ist
     jetzt Hauptmann in der Bürgerwehr, wußtest du das? Er patrouilliert die halbe Nacht auf
     dem Gemeindeanger und wartet auf deutsche Fallschirmspringer. Onkel Stevens Warenhaus wurde
     zerbombt – ich weißnicht, was er tun wird, es handelt sich um
     einen Fall von Feindeinwirkung oder wie man das nennt – «
    »Langsam, Mutter, du
     hast vierzehn Tage Zeit, um mir alle Neuigkeiten zu erzählend«, lachte Lucy.
    Sie
     erreichten das Haus. Mutter sagte: »Ist es nicht schön?« Sie traten ein. »Es ist
     einfach wunderschön.«
    Lucy bat ihre Mutter, sich an den Küchentisch zu setzen,
     und machte Tee. »Tom bringt deinen Koffer. Er kommt bald zum Lunch.«
    »Der
     Schafhirte?«
    »Ja.«
    »Findet er denn genügend Sachen, um David zu
     beschäftigen?«
    Lucy lachte. »Es ist genau umgekehrt. Ich bin sicher, daß er dir
     selbst davon erzählen wird. Du hast mir noch nicht gesagt, warum du hier bist.«
    »Meine Liebe, es wird langsam Zeit, daß ich dich besuche. Ich weiß, daß wir keine
     unnötigen Reisen machen sollen, aber einmal in vier Jahren, das ist doch nicht besonders
     übertrieben, oder?«
    Sie hörten den Jeep vor der Tür, und einen Moment später
     rollte David herein. Er küßte seine Schwiegermutter und stellte Tom vor.
    Lucy
     sagte: »Tom, Sie können sich Ihren Lunch heute dadurch verdienen, daß Sie Mutters Koffer
     heraufbringen. Sie hat dafür Ihre Lebensmittel getragen.«
    David wärmte seine
     Hände am Herd. »Es ist eisig heute.«
    »Du betreibst die Schafzucht also wirklich
     ernsthaft?« fragte Mutter.
    »Die Herde ist dreimal so groß wie vor drei Jahren«,
     erwiderte David. »Mein Vater hat diese Insel nie richtig bewirtschaftet. Ich habe oben auf
     den Klippen sechs Meilen eingezäunt, die Weiden verbessert und moderne Zuchtmethoden
     eingeführt. Wir haben nicht nur mehr Schafe, sondern jedes Tier liefert auch mehr Fleisch
     und Wolle.«
    Mutter sagte zögerlich: »Ich nehme an, daß Tom die körperliche Arbeit macht und du die Befehle gibst.«
    David lachte. »Wir sind gleichberechtigte Partner, Mutter.«
    Es gab Herz zum Lunch, und beide Männer aßen Berge von Kartoffeln. Mutter lobte Jos Tischmanieren. Nach dem Essen zündete David eine Zigarette an, und Tom stopfte seine Pfeife.
    »Was ich wirklich wissen möchte, ist, wann ich mehr Enkelkinder bekomme«, erklärte Mutter. Sie lächelte strahlend.
    Es folgte ein langes Schweigen.
    »Es ist wirklich großartig, wie David sich gemacht hat«, sagte Mutter.
    »Ja«, antwortete Lucy.
    Sie gingen auf den Klippen spazieren. Am dritten Tag von Mutters Besuch war der Wind schwächer geworden; es war milde genug, um hinauszugehen. Sie nahmen Jo mit, der einen Fischerpullover und einen Pelzmantel trug. Auf einem Hügel hatten sie haltgemacht, um David, Tom und den Hund beim Zusammentreiben der Schafe zu beobachten. Lucy sah, daß das Gesicht ihrer Mutter einen inneren Kampf widerspiegelte: Sorge wetteiferte mit taktvollem

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