Die Nadel.
weiß nicht«, antwortete Bloggs düster. »Wir wissen nicht,
von welchem Teil des Landes aus er operiert, und wir haben nicht die geringste Ahnung, wie
er aussieht. Er ist zu gerissen, um sich durch die Funkpeilung orten zu lassen, während er
sendet – sonst hätten wir ihn schon vor langer Zeit geschnappt. Wir kennen nicht einmal
seinen Codenamen. Womit sollen wir also anfangen?«
»Mit unaufgeklärten
Verbrechen«, sagte Godliman. »Einem Spion bleibt nichts anderes übrig, als das Gesetz zu
brechen. Er fälscht Papiere, stiehlt Benzin und Munition, umgeht Kontrollpunkte, betritt
Sperrgebiete, macht Photos, und wenn jemand ihm auf die Schliche kommt, bringt er ihn
um. Die Polizei muß einfach von einigen dieser Verbrechen erfahren, wenn der Spion schon
längere Zeit tätig ist. Wenn wir die Akten mit den seit Kriegsbeginn ungelösten
Verbrechen durchgehen, werden wir Anhaltspunkte finden.«
»Ist Ihnen nicht klar,
daß die meisten Verbrechen nicht aufgeklärt werden?«, fragte Bloggs ungläubig. »Die
Akten würden die Albert Hall füllen!«
Godliman zuckte die Schultern. »Dann
beschränken wir uns eben auf London und fangen mit den Morden an.«
Sie fanden das, was sie suchten, schon am ersten Tag. Zufällig stieß
Godliman darauf. Zuerst erkannte er die Bedeutung dessen, was er gefunden hatte, gar
nicht.
Es war die Akte über den Mord an einer Mrs. Una Garden in Highgate im Jahre
1940. Jemand hatte ihr die Kehle durchgeschnitten, und sie war sexuell belästigt, wenn
auch nicht vergewaltigt worden. Sie war mit einer erheblichen Alkoholmenge im Blut im
Zimmer ihres Mieters gefunden worden. Die Sache war ziemlich eindeutig: Sie hatte ein
Stelldichein mit dem Mieter gehabt,er hatte weiter gehen wollen, als
ihr lieb war, sie hatten sich gestritten, er hatte sie umgebracht, und durch den Mord war
sein Geschlechtstrieb befriedigt worden. Aber die Polizei hatte den Mieter nie
gefunden.
Godliman hatte die Akte übergehen wollen: Spione ließen sich nicht auf
Sexualverbrechen ein. Aber was Akten betraf, war er ein gewissenhafter Mann, der jedes Wort
las. Infolgedessen entdeckte er, daß die unglückliche Mrs. Garden neben der tödlichen
Verletzung an der Kehle auch Stilettwunden im Rücken hatte.
Godliman und Bloggs
saßen sich an einem Holztisch im Archiv von Old Scotland Yard gegenüber. Godliman warf
die Akte über den Tisch. »Ich glaube, das ist er.«
Bloggs blätterte sie durch
und sagte: »Der Stilettmörder.«
Sie unterschrieben, um die Akte ausleihen zu
können, und legten die kurze Entfernung zum Kriegsministerium zu Fuß zurück. Als sie
Godlimans Zimmer betraten, lag ein dechiffrierter Funkspruch auf dem Schreibtisch. Er las
ihn flüchtig durch und schlug dann mit der Faust auf den Tisch. »Er ist es!«
Bloggs las: »Befehl empfangen. Grüße an Willi.«
»Erinnern Sie sich an ihn?«
fragte Godliman. »Die Nadel.«
»Ja«, sagte Bloggs zögernd. »Aber hieraus läßt
sich nicht viel entnehmen.«
Ȇberlegen Sie! Ein Stilett ist wie eine Nadel. Es
ist derselbe Mann: der Mord an Mrs. Garden, all die Funksprüche, die wir 1940 nicht
einordnen konnten, das Treffen mit Blondie . . . «
»Möglicherweise.« Bloggs sah
nachdenklich drein.
»Ich kann es beweisen«, sagte Godliman. »Entsinnen Sie sich
an den Funkspruch über die Invasionstruppe für Finnland, den Sie mir zeigten, als ich am
ersten Tag hierherkam? An den, der unterbrochen wurde?«
»Ja.« Bloggs ging zur
Kartei, um ihn herauszusuchen.
»Wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, stimmen
das Datum des Funkspruchs und des Mordes überein . . . und ich wette, daß der Mord
zeitlich mit der Unterbrechung zusammenfällt.«
Bloggs sah sich den Bericht in der Kartei an. »Stimmt beide Male.«
»Na also!«
»Er ist mindestens ein Jahr in London aktiv gewesen, und wir haben
bis jetzt gebraucht, um ihm auf die Spur zu kommen«, sinnierte Bloggs. »Es wird bestimmt
nicht leicht sein, ihn zu fassen.«
Godliman wirkte plötzlich raubtierhaft. »Er
mag gerissen sein, aber er ist nicht so gerissen wie ich«, sagte er mit verkniffenem
Gesicht. »Ich werde ihn festnageln. Darauf kann der Scheißkerl sich verlassen.«
Bloggs lachte laut. »Mein Gott, Sie haben sich verändert, Professor.«
Godliman
sagte: »Ist Ihnen klar, daß Sie zum erstenmal seit einem Jahr gelacht haben?«
ZWEITER TEIL – KAPITEL 9
as Versorgungsboot fuhr um
die Landspitze herum
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