Die Nadel.
Schweigen. Sie beschloß, ihrer Mutter die Mühe des Fragens zu ersparen. »Er liebt mich nicht«, sagte sie.
Mutter blickte sich schnell um, um sicherzugehen, daß Jo nicht in Hörweite war. »So schlimm ist es bestimmt nicht, Kind. Männer zeigen ihre Liebe auf versch . . . «
»Mutter, wir sind nicht mehr Mann und Frau gewesen – nicht richtig –, seit wir geheiratet haben.«
»Aber . . . ?« Sie deutete mit einem Nicken auf Jo.
»Das war eine Woche vor der Hochzeit.«
»Oh! O Gott.« Sie war schockiert. »Ist es – der Unfall?«
»Ja, aber nicht so, wie du denkst. Es ist nichts Körperliches. Er . . . will einfach nicht.« Lucy weinte leise; die Tränen kullerten über ihre windgebräunten Wangen.
»Habt ihr darüber gesprochen?«
»Ich habe es versucht. Mutter, was soll ich tun?«
»Vielleicht wird es mit der Zeit besser – «
»Es ist schon fast vier Jahre her!«
Sie begannen schweigend über die Heide zu wandern, der schwachen Nachmittagssonne entgegen. Jo jagte Möwen. Mutter sagte: »Einmal hätte ich deinen Vater fast verlassen.«
Nun war Lucy schockiert. »Wann?«
»Kurz nach Janes Geburt. Es ging uns damals noch nicht so gut – Vater arbeitete noch für seinen Vater, und es gab eine Wirtschaftskrise. Ich war zum drittenmal in drei Jahren schwanger, und mir schien, daß sich vor mir ein Leben ohne Abwechslung auftat, in dem ich ein Baby nach dem anderen haben würde und mit dem Geld sehr haushalten müßte. Nichts schien die Eintönigkeit zu durchbrechen. Dann entdeckte ich, daß er sich mit einer seiner alten Flammen traf – Brenda Simmonds, du kanntest sie nicht, sie ging nach Basingstoke. Plötzlich fragte ich mich, wofür ich all das tat, und mir fiel keine vernünftige Antwort ein.«
Lucy erinnerte sich nur schwach und bruchstückhaft an jene Tage. Damals war ihr die Ehe ihrer Eltern als Beispiel zufriedener Beständigkeit und dauerhaften Glücks erschienen. Sie fragte: »Warum hast du es nicht getan? Ihn verlassen, meine ich.«
»Oh, das tat man damals einfach nicht. Man konnte sich nicht so leicht scheiden lassen, und eine Frau bekam keine Arbeitsstelle.«
»Heute arbeiten Frauen überall.«
»Das haben sie im letzten Krieg auch getan, aber danach änderte sich alles, als es ein paar arbeitslose Männer gab. Diesmal wird es wohl nicht anders sein. Die Männer setzen sich durch, im allgemeinen.«
»Und du bist froh, daß du geblieben bist.« Es war keine Frage.
»Leute in meinem Alter sollten keine Erklärungen über ?das Leben? abgeben. Doch in meinem Leben mußte ich immer Kompromisse schließen, und das gilt auch für die meisten Frauen, die ich kenne. Beständigkeit sieht immer nach Aufopferung aus,aber das stimmt nur selten. Ich will dir keine Ratschläge geben. Du würdest sie nicht annehmen, und wenn du es tätest, würdest du mich wahrscheinlich hinterher dafür verantwortlich machen, wenn etwas schiefgeht.«
»Oh, Mutter.« Lucy lächelte.
»Wollen wir umkehren? Ich glaube, daß wir für einen Tag weit genug gegangen sind.«
Eines Abends in der Küche sagte Lucy zu David: »Ich möchte gern, daß
Mutter noch zwei Wochen bleibt, wenn sie will.«
Mutter war oben, brachte Jo zu Bett
und erzählte ihm eine Geschichte.
»Genügen zwei Wochen nicht, um meine
Persönlichkeit auseinanderzunehmen?«
»Sei nicht albern, David.«
Er rollte
hinüber zu ihrem Stuhl. »Willst du behaupten, daß ihr nicht über mich redet?«
»Natürlich reden wir über dich – du bist mein Mann.«
»Was erzählst du ihr
denn?«
»Warum machst du dir solche Sorgen?« fragte Lucy, nicht ohne
Bosheit. »Weshalb schämst du dich?«
»Verdammt, ich muß mich überhaupt nicht
schämen. Nur, wer hat es schon gern, wenn sein persönliches Leben von zwei Klatschweibern
durchgehechelt wird?«
»Wir klatschen nicht über dich.«
»Was erzählst du
ihr?«
»Wie empfindlich du bist!«
»Beantworte meine Frage!«
»Ich
erzähle ihr, daß ich dich verlassen will, und sie versucht, es mir auszureden.«
Er
wirbelte herum und rollte davon. »Sag ihr, daß sie sich meinetwegen keine Gedanken zu machen
braucht.«
»Meinst du das ernst?« rief Lucy.
Er hielt an. »Ich brauche
niemanden, verstehst du? Ich komme allein zurecht. Ich bin auf niemanden angewiesen.«
»Und was ist mit mir?« sagte sie ruhig. »Vielleicht brauche ich
jemanden.«
»Wozu?«
»Um mich zu lieben.«
Mutter kam herein und
spürte die Spannung. »Er schläft fest«, sagte sie. »Er war schon
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