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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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es wütend auf den Schaden sah, den Hitler in seiner Stadt
     anrichtete. Von der Höhe aus, wo es stand, ließen sich gut Funksprüche absetzen. Die
     Nadel mußte in der obersten Etage gewohnt haben. Bloggs fragte sich, welche Geheimnisse
     der Spion in den für England so dunklen Tagen des Jahres 1940 von hier aus nach Hamburg
     übermittelt haben mochte. Koordinaten von Flugzeugfabriken und Stahlwerken, Einzelheiten
     über die Küstenverteidigung, politischen Klatsch, Berichte über Gasmasken, Anderson-
     Schutzräume, Sandsäcke und die britische Moral. Und über Bombenschäden: »Gut gemacht,
     Leute, Ihr habt Christine Bloggs endlich erwischt« – Schluß jetzt!
    Die Tür wurde von einem alten Mann in einer schwarzen Jacke und mit
     gestreifter Hose geöffnet.
    »Guten Morgen. Ich bin Inspektor Bloggs von Scotland
     Yard. Dürfte ich bitte mit dem Hausbesitzer sprechen?«
    Bloggs sah, daß plötzlich
     Furcht in den Augen des Mannes stand. Dann erschien eine junge Frau an der Tür und sagte:
     »Bitte, treten Sie ein.«
    Der gekachelte Flur roch nach Bohnerwachs. Bloggs hängte
     Hut und Mantel an einen Ständer. Der alte Mann verschwand irgendwo im Haus, und die Frau
     führte Bloggs in ein Wohnzimmer. Es war wertvoll eingerichtet, auf üppige, altmodische
     Art. Auf einem Servierwagen standen Flaschen mit Whisky, Gin und Sherry; alle waren
     ungeöffnet. Die Frau setzte sich auf einen Sessel mit Blumenmuster und schlug die Beine
     übereinander.
    »Warum hat der alte Mann Angst vor der Polizei?« fragte Bloggs.
    »Mein Schwiegervater ist deutscher Jude. Er kam 1935 hierher, um Hitler zu
     entkommen. 1940 wurde er von Ihren Leuten in ein Konzentrationslager gebracht. Seine Frau
     beging deshalb Selbstmord. Er ist gerade von der Insel Man entlassen worden. Der König
     schrieb ihm einen Brief und entschuldigte sich für die Ungelegenheiten, die man ihm
     bereitet hat.«
    Bloggs erwiderte: »Wir haben keine Konzentrationslager.«
    »Wir haben sie erfunden. In Südafrika. Wußten Sie das nicht? Wir sind stolz auf
     unsere Geschichte, aber wir vergessen gern Teile davon. Es fällt uns leicht, die Augen vor
     unangenehmen Tatsachen zu verschließen.«
    »Vielleicht ist das ganz gut so.«
    »Bitte?«
    »1939 täuschten wir uns über die unangenehme Tatsache hinweg, daß
     wir einen Krieg gegen Deutschland nicht gewinnen konnten – und sehen Sie, was passiert
     ist.«
    »Das sagt mein Schwiegervater auch. Er ist nicht so zynisch wie ich. Was
     können wir für Scotland Yard tun?«
    Der Wortwechsel hatte Bloggs Spaß
     gemacht. Widerwilligwurde er wieder dienstlich. »Es geht um einen Mord,
     der sich hier vor vier Jahren ereignete.«
    »Das ist lange her!«
    »Vielleicht haben wir jetzt neues Beweismaterial.«
    »Ich weiß natürlich
     davon. Die frühere Eigentümerin wurde von einem Mieter ermordet. Mein Mann kaufte das
     Haus von ihrem Nachlaßverwalter – sie hatte keine Erben.«
    »Ich möchte die
     anderen Leute finden, die damals hier Mieter waren.«
    »Ja.« Die Feindseligkeit der
     Frau war jetzt verschwunden. An ihrem intelligenten Gesicht konnte man ablesen, daß sie
     angestrengt nachdachte. »Als wir hierherkamen, waren noch drei da, die schon vor dem Mord
     hier wohnten: ein pensionierter Marineoffizier, ein Vertreter und ein Junge aus
     Yorkshire. Der Junge ist Soldat geworden – er schreibt uns noch. Der Vertreter wurde zur
     Marine eingezogen und ist gefallen. Das weiß ich, weil zwei seiner fünf Frauen mit uns
     Kontakt aufnahmen! Und der Fregattenkapitän ist noch hier.«
    »Noch hier!« Das war
     ein Glücksfall. »Könnte ich mit ihm sprechen?«
    »Natürlich.« Sie stand
     auf. »Er ist ziemlich alt geworden. Ich bringe Sie zu seinem Zimmer.«
    Sie stiegen
     die mit einem Läufer ausgelegte Treppe zum ersten Stockwerk hinauf. Sie sagte: »Während
     Sie mit ihm reden, suche ich den letzten Brief von dem Jungen heraus.« Sie klopfte an die
     Tür. Meine Hauswirtin hätte das nicht getan, dachte Bloggs bei sich.
    Eine Stimme
     rief: »Es ist offen«, und Bloggs trat ein.
    Der Commander saß, eine Decke über
     den Knien, in einem Sessel neben dem Fenster. Er trug einen Blazer, Schlips und Kragen und
     eine Brille. Sein Haar war dünn, sein Schnurrbart grau und seine Haut schlaff und faltig
     in einem Gesicht, das einmal energisch gewesen sein mochte. Das Zimmer war das Heim eines
     Mannes, der von Erinnerungen lebt: Bloggs sah Gemälde von Segelschiffen, einen Sextanten,
     ein Teleskop und

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