Die Nadel.
eingenickt, bevor
Aschenbrödel auf den Ball kam. Ich fange schon mal mit dem Packen an, damit ich nicht
alles morgen machen muß.« Sie ging wieder hinaus.
»Glaubst du, daß es sich je
ändern wird, David?« fragte Lucy.
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Wird es je so sein . . . wie vor unserer Hochzeit?«
»Meine Beine werden nicht
wieder wachsen, wenn du das meinst.«
»O Gott, weißt du denn nicht, daß mir das
nichts ausmacht? Ich will nur geliebt werden.«
David zuckte mit den
Schultern. »Das ist dein Problem.« Er rollte hinaus, bevor sie zu weinen begann.
Mutter blieb nicht noch weitere zwei Wochen. Lucy ging am
nächsten Tag mit ihr hinunter zur Anlegestelle. Es regnete stark, und sie trugen beide
Gummimäntel. Sie warteten stumm auf das Boot und sahen zu, wie der Regen das Meer mit
winzigen Kratern übersäte. Mutter hielt Jo in den Armen.
»Es wird mit der Zeit
bestimmt besser werden«, sagte sie. »Vier Jahre sind nichts in einer Ehe.«
»Ich
glaube nicht, daß er sich ändern wird, aber mir bleibt kaum was anderes übrig, als
darauf zu hoffen. Jo, der Krieg und Davids Behinderung – wie könnte ich ihn
verlassen?«
Das Boot kam. Lucy tauschte ihre Mutter gegen drei Kartons mit
Lebensmitteln und fünf Briefe ein. Die See war kabbelig. Mutter saß in der winzigen
Kajüte des Bootes. Sie winkten ihr nach, bis das Boot hinter der Landspitze verschwunden
war. Lucy fühlte sich sehr einsam. Jo begann zu weinen. »Ich will nicht, daß Oma
weggeht!«
»Ich auch nicht«, sagte Lucy.
ZWEITER TEIL – KAPITEL 10
odliman und Bloggs gingen
Seite an Seite auf dem Bürgersteig einer Londoner Geschäftsstraße, die einige
Bombentreffer erhalten hatte. Sie waren ein Paar, das schlecht zusammenpaßte: der gebeugt
gehende Professor mit dicken Brillengläsern und einer Pfeife, der nicht auf den Weg
achtete und kurze, trippelnde Schritte machte, und der plattfüßige junge Mann, blond und
zielstrebig, mit seinem Trenchcoat und dem melodramatischen Hut. Eine Karikatur, die nach
einer Unterzeile verlangte.
Godliman sagte: »Ich glaube, die Nadel hat gute
Beziehungen.«
»Wieso?«
»Wie könnte er sonst so aufsässig sein, ohne
bestraft zu werden? Seine ?Grüße an Willi? müssen sich auf Canaris beziehen.«
»Sie meinen, daß er ein Freund von Canaris ist.«
»Er ist mit irgend jemandem
befreundet – vielleicht mit einem, der mächtiger ist, als Canaris es war.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Leute, die gute Beziehungen haben, knüpfen diese
gewöhnlich in der Schule, an der Universität oder auf der Offiziersschule. Sehen Sie sich
das an.«
Sie standen vor einem Geschäft, das ein riesiges Loch hatte, wo einst ein
Schaufenster gewesen war. Ein primitives, handbemaltes Schild war an den Fensterrahmen
genagelt. Darauf stand: »Noch offener als sonst.«
Bloggs lachte. »Ich habe
neulich eines an einer zerbombten Polizeiwache gesehen: ?Benehmt euch. Hier ist immer
noch offen.?«
»Solche Sprüche haben sich zu einer kleinen Kunstform
entwickelt.«
Sie gingen weiter. Bloggs sagte: »Und wenn nun die Nadel zusammen mit
hohen Tieren von der Wehrmacht ausgebildet wurde?«
»Bei solchen Lehrgängen werden immer Bilder gemacht. Midwinter im
Kellergeschoß in Kensington – wo MI6 vor dem Krieg war – hat eine Sammlung mit
Tausenden von Photographien deutscher Offiziere: Lehrgangsphotos, Saufgelage im Casino,
Abschiedsparaden, Händedruck mit Adolf, Zeitungsbilder – einfach alles.«
»Ich
verstehe. Wenn Sie also recht haben und die Nadel das deutsche Pendant zu Eton oder
Sandhurst besucht hat, haben wir wahrscheinlich ein Bild von ihm.«
»Mit größter
Sicherheit. Spione sind notorisch kamerascheu, aber sie werden erst Spione, wenn sie
längst erwachsen sind. Auf Midwinters Photos wird die Nadel noch jung sein.«
Sie
umgingen einen gewaltigen Krater vor einem Friseurladen. Der Laden hatte nichts abbekommen,
doch der traditionelle rot- weiß gestreifte Stab lag zersplittert auf dem
Bürgersteig. Auf dem Schild im Fenster stand: »Wir wären fast wegrasiert worden –
warum kommen Sie nicht auch zur Rasur?«
»Wie können wir ihn erkennen?« fragte
Bloggs. »Niemand hat ihn je gesehen.«
»Doch. In Mrs. Gardens Pension in Highgate
kennt man ihn genau.«
Das viktorianische Haus erhob sich auf
einem Hügel, der einen Ausblick auf London bot. Es war aus roten Ziegelsteinen
gebaut. Bloggs schien, daß
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