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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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andere Auge – « Er bedeckte beide Augen mit den Händen.
    Verdammt. Francisco, dieser Idiot . . . Jetzt mußte er – »Welchen Plan habt ihr? Wo ist die Falle?«
    »Glasgow. Sie werden in Glasgow erwartet. Dort müssen alle aussteigen.«
    Fabers Hand, die das Messer hielt, senkte sich zu Parkins Bauch. Um ihn
     abzulenken, fragte er: »Wieviel Mann?« Dann stieß er kräftig zu, nach innen und dann
     hoch ins Herz.
    Parkins eines Auge starrte ihn entsetzt an. Er starb nicht
     sofort. Das war der Nachteil bei Fabers bevorzugter Tötungsart. Normalerweise genügte der
     Schock des Stiches, damit das Herz aussetzte. Aber wenn das Herz stark war, funktionierte
     diese Methode nicht immer – schließlich spritzten Chirurgen manchmal Adrenalin direkt
     ins Herz –, und wenn es weiterschlug, bildete sich durch die Muskelbewegung ein Hohlraum
     um die Klinge herum, aus der Blut ausströmte. Es war genauso tödlich, dauerte nur
     länger.
    Endlich wurde Parkins Körper schlaff. Faber lehnte ihn einen Moment lang
     gegen die Wand und dachte nach. Da war etwas gewesen im Gesicht des Mannes, bevor er starb
     – ein Aufflackern von Tapferkeit, der Anflug eines Lächelns. Es hatte etwas zu
     bedeuten. Das war immer so.
    Faber ließ die Leiche zu Boden fallen und legte sie so
     hin, daß die Wunden nicht zu sehen waren und jeder glauben würde, der Mann schlafe. Ein
     Fußtritt beförderte die Eisenbahnermütze in eine Ecke. Faber säuberte sein Stilett an
     Parkins Hose und wischte sich die Augenflüssigkeit von den Händen. Es war eine
     unappetitliche Sache gewesen.
    Er ließ das Messer in seinem Ärmel verschwinden und
     öffnete die Tür zum Wagen. Dann tastete er sich in der Dunkelheit zurück zu seinem
     Abteil. Er kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit.
    Als er sich wieder setzte,
     sagte der Mann mit dem Cockney-Akzent: »Sie ha’m lange gebraucht – gibt’s ’ne
     Schlange?«
    »Muß was Falsches gegessen haben«, gab Faber
     zurück. »Wahrscheinlich ein Eipulver-Sandwich.« Der Mann lachte.
    Faber ging
     dieser Godliman nicht aus dem Sinn. Er kannte den Namen – er konnte damit sogar vage ein
     Gesicht in Verbindung bringen: nicht mehr ganz jung, Brille, Pfeife, ein zerstreuter,
     professoraler Gesichtsausdruck. Genau – ein Professor.
    Jetzt erinnerte er sich. In seinen ersten beiden Jahren in London hatte Faber wenig zu tun gehabt. Der Krieg hatte noch nicht angefangen, und die meisten hatten geglaubt, daß er sich vermeiden ließe. (Faber hatte nicht zu diesen Optimisten gehört.) Er hatte sich ein wenig, nicht allzu sehr, nützlich machen können: Vor allem überprüfte und überarbeitete er die veralteten Karten der Abwehr und lieferte Stimmungsberichte, die sich auf eigene Beobachtungen und Zeitungsartikel stützten. Um sich die Zeit zu vertreiben, sein Englisch zu verbessern und seine Tarnung auszubauen, hatte er Sehenswürdigkeiten besucht.
    Er hatte die Canterbury Cathedral ohne Hintergedanken besichtigt, wenn er auch eine Luftaufnahme der Stadt und der Kathedrale kaufte, die er über Hamburg an die Luftwaffe schickte – nicht, daß es viel nützte. Er hatte sich Zeit genommen, sich das Bauwerk in Ruhe anzusehen, hatte die uralten Initialen gelesen, die in die Wände eingemeißelt waren, die verschiedenen Architekturstile unterschieden und Zeile um Zeile in seinem Führer gelesen, während er langsam weiterging.
    Er war im südlichen Wandelgang des Chors gewesen und hatte die Blendbögen betrachtet, als er eine ebenso versunkene Gestalt an seiner Seite bemerkte: einen älteren Mann. »Faszinierend, nicht wahr?« sagte dieser. Faber fragte ihn, was er meine.
    »Der eine Spitzbogen in einer Arkade von Rundbögen. Es gibt keinen Grund dafür – dieser Teil ist offensichtlich nicht rekonstruiert worden. Irgend jemand muß nur den einen geändert haben. Warum wohl?«
    Faber verstand, worauf er hinauswollte. Der Chor war romanisch, das Schiff gotisch, und doch befand sich hier im Chor ein einzelner gotischer Bogen. »Vielleicht wollten die Mönche wissen, wie Spitzbögen aussehen, und der Architekt zeigte es ihnen auf diese Weise.«
    Der Ältere starrte ihn an. »Eine vorzügliche These! Das muß der Grund sein. Sind Sie Historiker?«
    Faber lachte. »Nein, nur Büroangestellter, aber ich lese ab und zu Geschichtsbücher.«
    »Für so eine geistreiche Vermutung kann man einen Doktortitel
     bekommen!«
    »Sind Sie’s? Historiker, meine ich.«
    »Ja« sagte dieser
     lachend und streckte die Hand aus.

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