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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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Eisenbahnwagen war
     es stockfinster. Faber dachte an die Witze, die manche Leute rissen: »Nehmen Sie die Hand
     von meinem Knie. Nein, nicht Sie, Sie.« Die Briten konnten über alles Witze machen. Ihre
     Züge waren jetzt schlechter denn je, doch keiner beschwerte sich, da es um eine gute Sache
     ging. Faber zog die Dunkelheit vor: Darin blieb man unauffällig.
    Vorhin hatten die
     Leute gesungen. Drei Matrosen im Gang hatten damit angefangen, und der ganze Wagen war
     eingefallen: alle Strophen von Be Like the Kettle and Sing, There’ll Always Be an
     England (gefolgt von Glasgow Belongs to Me und Land of My Fathers , um
     niemanden zu übergehen) und, ganz den Umständen entsprechend, Don’t Get Around Much
     Any More .
    Es hatte Fliegeralarm gegeben, und der Zug fuhr darum nur noch
     dreißig Meilen pro Stunde. Eigentlich hätten sich alle auf den Boden werfen sollen, aber
     natürlich reichte der Platz nicht. Eine unbekannte weibliche Stimme hatte gesagt: »O
     Gott, ich habe Angst«, und eine männliche Stimme mit starker Cockney-Färbung hatte
     geantwortet: »Du bist völlig sicher, Mädel – ein bewegliches Ziel wird nicht
     getroffen.« Alle hatten gelacht, und damit war die Angst verflogen. Jemand öffnete einen
     Koffer und ließ eine Schachtel mit Eipulver-Sandwiches herumgehen.
    Einer der drei
     Matrosen auf dem Gang wollte Karten spielen. »Wie denn – im Dunkeln?«
    »Fühl
     die Ränder. Harrys Karten sind alle gezinkt.«
    Der Zug hielt aus unerfindlichen
     Gründen gegen 4 Uhr morgens. Eine vornehme Stimme – der Spender der Sandwiches, dachte
     Faber – sagte: »Ich schätze, wir sind kurz vor Crewe.«
    »Wie ich die Eisenbahn
     kenne, könnten wir überall zwischen Bolton und Bornemouth sein«, erklärte der
     Cockney.
    Der Zug ruckte, setzte sich in Bewegung, und alle jubelten. Faber fragte
     sich, wo er denn nun zu finden sei, der Engländer aus den Karikaturen, mit seiner kühlen
     Zurückhaltung und seinerUnfähigkeit, Gefühle zu zeigen. Hier im Zug
     jedenfalls nicht.
    Ein paar Minuten später sagte eine Stimme auf dem Gang: »Die
     Fahrkarten, bitte.« Faber bemerkte den Yorkshire-Akzent: Sie waren jetzt im Norden. Er
     kramte in seinen Taschen nach der Fahrkarte.
    Faber hatte den Ecksitz an der Tür, so
     daß er auf den Gang hinausblicken konnte. Der Schaffner leuchtete mit einer Taschenlampe
     auf die Fahrkarten. Faber sah die Silhouette des Mannes im Widerschein des Lichts. Sie kam
     ihm irgendwie bekannt vor.
    Er lehnte sich in seinen Sitz zurück, um abzuwarten. Der
     Alptraum fiel ihm ein: »Das ist eine Fahrkarte der Abwehr«, – er lächelte in der
     Dunkelheit.
    Dann runzelte er die Stirn. Der Zug hält ohne Grund an; kurz danach
     beginnt die Fahrkartenkontrolle; das Gesicht des Schaffners ist irgendwie bekannt
     . . . Vielleicht war es bedeutungslos, aber Faber war noch am Leben, weil er sich immer um
     Dinge gekümmert hatte, die vielleicht bedeutungslos waren. Er blickte wieder hinaus auf
     den Gang, aber der Mann hatte ein Abteil betreten.
    Der Zug hielt kurz an – der
     Bahnhof hieß nach Meinung der Experten in Fabers Abteil Crewe – und setzte sich dann
     wieder in Bewegung.
    Faber konnte wieder einen Blick auf das Gesicht des Kontrolleurs
     werfen, und jetzt erinnerte er sich. Die Pension in Highgate! Der Junge aus Yorkshire, der
     Soldat werden wollte!
    Faber beobachtete ihn eingehend. Der Schein der Taschenlampe
     glitt über das Gesicht jedes Fahrgastes. Er sah sich nicht nur die Fahrkarten an.
    Nein, sagte Faber zu sich selbst. Keine voreiligen Schlußfolgerungen! Wie sollten sie
     ihm auch auf die Spur kommen? Sie konnten doch unmöglich herausgefunden haben, in welchem
     Zug er war; sie konnten doch nicht einen der wenigen Menschen auf der Welt, die wußten,
     wie er aussah, aufgetrieben undin so kurzer Zeit als
     Fahrkartenkontrolleur verkleidet in den Zug geschmuggelt haben. Das war unglaublich.
    Parkin, so hieß er. Billy Parkin. Irgendwie wirkte er jetzt viel älter. Er kam
     näher.
    Es mußte ein Doppelgänger sein – vielleicht ein älterer Bruder. Es
     konnte sich nur um einen Zufall handeln!
    Parkin ging in das Nachbarabteil. Nun war
     keine Zeit mehr zu verlieren.
    Faber nahm das Schlimmste an und traf die nötigen
     Vorbereitungen.
    Er stand auf, verließ das Abteil und bahnte sich über Koffer,
     Reisetaschen und Menschen hinweg einen Weg zur Toilette. Sie war nicht besetzt. Er ging
     hinein und schloß die Tür ab.
    Es war nur ein Zeitgewinn

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