Die nächste Begegnung
Ramas. Die Kugel zerbarst, und Elektronikteilchen, die vordem die Sternensonnen der Umgebung bezeichnet hatten, stürzten aufs Pflaster. Das kleine Blinklicht, das Rama symbolisiert hatte, zersprang zu hundert winzigen Fetzchen.
»Edenbürger!«, brüllte Nicole in das Megaphon. »Hört doch erst zu Ende an! Es gibt an diesem Fall einen Aspekt, den ihr alle nicht kennt. Wenn ihr doch nur zuhören wolltet ... «
»Killt doch diese Niggerhure!«, quäkte der rothaarige junge Mann, der den Garcia-Bioten mit dem Baseballschläger zerstört hatte.
Nicoles Augen flammten. »Was hast du gesagt? «, donnerte sie.
Der Sprechchor brach urplötzlich in sich zusammen. Der junge Mann stand auf einmal isoliert da. Nervös blickte er um sich und grinste. »Killt die Niggerhure«, wiederholte er frech.
Wie der Blitz war Nicole am Fuß der Treppe. Die Leute wichen zur Seite, als sie direkt auf den Kerl zuging. »Wiederhol das noch mal«, sagte sie mit geblähten Nasenflügeln, als sie dicht vor ihm angelangt war.
»Kill ... « , begann er.
Sie schlug ihn heftig mit der flachen Hand ins Gesicht. Der Knall war auf dem ganzen Platz zu hören. Sie machte kehrt und wollte wieder zur Treppe zurück, doch von allen Seiten griffen Hände nach ihr. Der Rothaarige ballte die Faust...
Im selben Augenblick dröhnten zwei laute Detonationen über den Platz. Und während noch alle nach der Ursache spähten, erfolgten zwei weitere Explosionen über den Köpfen der Menge in der Luft. »Das war weiter nichts«, sagte Max Puckett ins Megaphon, »bloß ich mit meiner Schrotflinte. Und jetzt werdet ihr Leutchen bitte schön die Frau Richterin durchlassen ... So ist's recht ..., und wenn ihr euch dann allesamt nach Hause verzieht, dann machen wir alle 'ne viel bessere Figur...«
Nicole war die grapschenden Hände los, aber die Menge zerstreute sich nicht. Max hob sein Gewehr, zielte auf den dicken Knoten über der Schlinge am Galgen und feuerte noch einmal. Das Seil zerfaserte, und Teile davon flogen in die Menge.
»Also, Leute«, sagte Max. »Ich bin ein ganzes Stück weniger duldsam als diese zwei Richter hier. Außerdem ist mir klar, dass ich einige Zeit hier in diesem Bau sitzen werde, weil ich gegen das Schusswaffengesetz verstoßen hab. Und es täte mir deshalb verdammt arg leid, wenn ihr mich zwingen würdet, auch noch ein paar von euch abzuknallen ...«
Max richtete den Lauf auf die Menge. Alle zogen instinktiv die Köpfe ein. Max feuerte über die Köpfe hinweg und begann dann herzlich zu lachen, als die Masse sich eilends vom Platz verzog.
Nicole konnte nicht einschlafen. Immer wieder ging sie die Szene durch. Sie sah sich in die Menge laufen und diesen rothaarigen Halbstarken ohrfeigen. Und damit bin ich genauso widerlich mies wie er, dachte sie.
»Du schläfst noch immer nicht?«, fragte Richard.
»Hmm.«
»Fehlt dir was?«
Ein kurzes Zögern. »Nein, Richard ... ich bin nicht ... ich bin nur scheußlich wütend auf mich, weil ich diesen Jungen geschlagen habe.«
»Na, nu mach aber mal einen Punkt!«, sagte Richard. »Hör auf, dir an die Brust zu schlagen ... Der Kerl hatte das verdient ... Er hat dich auf gemeinste Weise beleidigt ... Und solche Leute sind wirklich unfähig, was anderes als Gewalt zu begreifen.«
Richard streckte die Hand zu ihr herüber und begann ihren Rücken zu massieren. »Du lieber Himmel«, sagte er dann, »ich hab dich noch nie dermaßen verspannt erlebt ... dein Rücken besteht ja nur noch aus Knoten.«
»Ich mach mir Sorgen«, sagte Nicole. »Ich hab so ein schreckliches Gefühl, wie wenn unser Leben hier in New Eden zu zerfasern, sich aufzulösen drohte ... als ob alles, was ich getan habe oder weiter tue, vollkommen nutzlos wäre.«
»Liebes, Liebste, du hast doch dein Bestes getan ... und ich gestehe, ich bewundere dich dafür, dass du dir so unendlich viel Mühe gibst.« Richard massierte Nicoles Rücken weiter sehr behutsam. »Aber du darfst nicht vergessen, dass du es mit menschlichen Geschöpfen zu tun hast ... Den Menschen kannst du in eine andre Welt versetzen, ihm ein Paradies schenken, und jeder Einzelne bringt trotzdem seine persönlichen Ängste und Fragwürdigkeiten und kulturellen Vorlieben mit. Eine neueWelt könnte doch nur dann wirklich etwas Neues sein, wenn sämtliche an ihr teilhabenden Menschen sie mit einem völlig leeren Bewusstsein beginnen würden, wie ganz neue Computer, ohne Software und Operationssysteme, bloß mit Unmengen unbenutztem Potential
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