Die nächste Begegnung
Sechstatamiraum und ließ sich mit gekreuzten Beinen auf einem der zwei Sitzkissen vor einem glänzenden schwarzen Lacktisch nieder. Natürlich lässt er mich warten, dachte Kenji. Alles Teil seiner Strategie.
Ein zweites, ebenfalls hübsches junges Mädchen in einem pastellfarbenen Kimono kam lautlos und unaufdringlich herein und brachte ihm Wasser und japanischen Tee. Kenji trank gemächlich und ließ die Augen durch den Raum schweifen. In der einen Ecke war ein vierteiliger Paravent aus Holz. Aus der Entfernung von etlichen Metern erkannte Kenji dennoch, dass es sich um eine exquisite Schnitzarbeit handelte. Er stand auf, um sie sich näher zu betrachten.
Die ihm zugewandten Paneele zeigten die Schönheiten der vier Jahreszeiten in Japan. Der Winter war eine Darstellung eines Wintersportortes in den >Japanischen Alpen< in metertiefem Schnee; das Frühlingspaneel zeigte die Kirschblüte am Ufer des Kama-Flusses in Kyoto. Der Sommer zeigte einen klaren Tag aus einer fernen Vergangenheit, an dem sich der noch von weißem Schnee bedeckte Gipfel des Fuji über einer noch grünenden Landschaft erhob. Die Herbsttafel bot ein taumelndes Farbenspiel im Laub der Bäume um den Schrein und das Mausoleum der Familie Tokugawa in Nikko.
Diese erstaunliche Schönheit! Kenji verspürte auf einmal Heimweh. Er hat versucht, die Welt wiedererstehen zu lassen, die wir verlassen haben. Aber warum? Warum verwendet er sein schmutziges Geld für solch großartige Kunstwerke ? ... Er ist ein eigenartiger, ein zerbrochener Mensch .. .
Die vier Paneele auf der Rückseite des Wandschirms schilderten ein anderes Japan. In üppigen Farben prangte da eine Schilderung des Kampfes um die Burg Osaka im frühen siebzehnten Jahrhundert, die Ieyasu Tokugawa faktisch zum unumstrittenen Shogun Japans machte. Das Paneel strotzte von Darstellungen menschlicher Gestalten — Samurais im Kampf, männliche und weibliche Höflinge auf dem Burggelände, sogar Fürst Tokugawa selbst, natürlich größer als die anderen und mit dem Ausdruck höchster Zufriedenheit über seinen Sieg. Und Kenji stellte amüsiert fest, dass das Gesicht des geschnitzten Shogun mehr als nur ein wenig den Zügen Nakamuras ähnelte.
Kenji wollte sich gerade wieder auf sein Sitzkissen am Tisch niederlassen, als die Schiebetür aufglitt und sein Gastgeber und Gegner eintrat. » Omachido sama deshita«, sagte Nakamura mit einer leichten Verbeugung zu Kenji hin.
Kenji erwiderte die Höflichkeitsgeste ein wenig linkisch, denn er vermochte die Augen nicht von Toshio Nakamura abzuwenden. Toshio prangte im vollen Samurai-Gewand, einschließlich Schwert und Dolch! Das Ganze ist eine Art psychologische Schmierenkomödie, sagte sich Kenji. Es soll mich verwirren oder einschüchtern.
»Ano, hajememashoka«, sagte Nakamura und ließ sich auf dem Kissen gegenüber nieder. »Kocha ga, oishii desu, ne?«
»Totemo oishii desu«, erwiderte Kenji und trank einen Schluck aus seiner Teeschale. Der Tee schmeckte wirklich hervorragend. Aber er ist nicht mein Shogun, dachte Kenji. Ich muss den Ton des Gesprächs ändern, ehe wir wirklich auf die Kernpunkte zu sprechen kommen.
»Nakamura-san, wir sind beide vielbeschäftigte Männer«, sagte der Gouverneur, absichtlich ins Englische wechselnd. »Ich lege Wert darauf, dass wir auf weitere Formalien verzichten und direkt zur Sache kommen. Dein — Lobbyist sagte heute Morgen am Telefon zu mir, du wärest besorgt wegen der Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden und hättest einige positive Anregungen, wie den derzeitigen Spannungen in New Eden zu begegnen sei. Und aus diesem Grund bin ich hier und will mit dir reden.«
Nakamuras Gesicht blieb unbewegt; doch das kaum merkliche Zischen in seiner Antwort verriet, dass ihm Kenjis Direktheit unangenehm war. »Du hast deine heimatlichen Sitten vergessen, Watanabe-san ... Es ist betrüblich unhöflich, über Geschäftliches zu reden, ehe man seinem Gastgeber Komplimente über sein Haus, die Ausstattung des Festraums gemacht und sich nach seinem Befinden erkundigt hat. Derartige Unziemlichkeit führt fast immer zu unerfreulicher Missstimmung, die durchaus vermieden werden könnte ...«
»Es tut mir leid«, unterbrach ihn Kenji mit kaum verhohlener Ungeduld, »aber ich denke nicht, dass ich ausgerechnet von dir eine Lektion über gute Manieren benötige. Wir sind hier nicht in Japan, wir sind nicht einmal auf der Erde, und unsre altehrwürdigen japanischen Sitten und Gebräuche sind hier wohl ebenso echt
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